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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland
Autoren: Feridun Zaimoglu
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ist es gewesen, denn ich gehöre zu jenen Halunken, die sich nach einigen wenigen Gesetzesverstößen abgesetzt
     haben. (Er schummelt, wie er das immer tut, wenn er seine Geschichten erzählt.)
    Meine Vorgeschichte hat ihre interessanten Seiten, ich habe mit ihr abgeschlossen, und nun bin ich in dieser Stadt, in der
     man mir nur jene Fragen stellt, die man auch jedem anderen Touristen stellen würde: Wie gefällt es Ihnen bei uns? Was halten
     Sie von uns Pragern und Tschechen? Schmeckt Ihnen das Essen? Dreimal Ja. Ich bin in Prag in eine seltsame Liebesgeschichte
     verwickelt, sie hat begonnen, ohne daß ich angeben könnte, an welchem Tag und zu welcher Tageszeit ich anfing, mich komisch
     zu fühlen. So viele gähnende Menschen auf den Straßen, sie gähnen den Winter aus, und manchmal müssen die Frauen – sie sind
     höflicher als die Männer – eine Minute, zwei oder drei Minuten die Hand vor den Mund halten, ich gähnte mit ihnen mit und
     gähnte eine schöne junge Frau an, die an einem Ampelmast lehnte, ich steckte sie mit meinem Gähnen an, und sie bedeckte ihren
     Mund mit der Hand. Das war bei meinem letzten Pragaufenthalt vor einigen Monaten, und ich lernte, auf Zeichen zu achten, als
     ich nachtsauf einer verlassenen Straße in der Nähe meines Hotels einen Traktorentankdeckel fand. Ich konnte ihn nicht einstecken, er
     war zu groß.
    Aber wieder zurück zu dem Ampelmast, oder eher zu der Wunderschönen, die daran lehnte: Natürlich wagte ich gähnend einen zweiten
     Blick, da war sie aber schon verschwunden. Als wir uns wiederfanden, in einer staubigen Ecke des Viertels, war sie dabei,
     in übergroße Handschuhe zu schlüpfen, ich gähnte nicht, ich sprach sie an. Auf deutsch. Sie sprach mit mir, auch auf deutsch.
     Vielleicht haben wir beide gewartet, daß einer von uns plötzlich gähnte, vielleicht hatte sie fertiggegähnt. Ich sagte ihr:
     Ich bin zum ersten Mal in Ihrer Stadt, und ich bin gespannt, was Sie mich jetzt fragen werden. Sie sagte: Nichts. Wir verstanden
     uns sehr gut. Sie erzählte von wunden Tieren, die ihre Mutter auflas, früher, sie kam eines Tages mit einem sehr müden Igel
     nach Hause, und das war das erste Mal, daß sie, noch ein halbes Kind, erkannte, daß auch Igel der Stimmungsschwankungen überdrüssig
     werden. Ihre Mutter hat den Igel in die Badewanne gelegt und sich monatelang mit Katzenwäsche begnügt, sie hat den Igel gesund
     gepflegt und wieder ausgesetzt. Jetzt war die Zeit nach der Scheidung ihrer Eltern, jetzt war die Zeit, da sie mit einem fremden,
     nicht abstoßenden Mann ausging, der ein geschwollenes rechtes Auge hatte. Es tränte ununterbrochen, und es war für mich lästig,
     mir mit der Papierserviette immer wieder das Auge trockenzutupfen. Ich hatte in meiner Jackentasche einen ganzen Vorrat an
     Servietten, und falls es ihr seltsam vorkam, so sprach sie mich nicht darauf an.
    Ich erklärte ihr: Ich stecke in Restaurants, in die ich essen gehe, und in Bars, in die ich trinken gehe, stets eine Handvoll
     Zahnstocher und Papierservietten ein. Ich weiß nicht, ob es eine schlechte Angewohnheit ist, ich weiß nur, daß ich mich nicht
     des Diebstahls schuldig mache – ich habe auch einmal Plastiklöffel aus dem Eisfach eingesteckt, und der Detektivdes Supermarkts hat mir das Versprechen abgenommen, es nie wieder zu tun. Die Zugluft, sagte ich ihr, ich habe bei offenem
     Kippfenster und vielleicht mit offenen Augen geschlafen, von nichts kommt nichts, und sie wunderte sich über meine Redewendung,
     das Gegenteil müßte ihrer Meinung nach heißen: Von etwas kommt etwas.
    Später stolperte ich über eine plattgefahrene Konservendose, und sie sagte: Von etwas kommt etwas. Wir saßen dann in meinem
     Hotelzimmer und sahen uns verlegen einen Film an, in dem fünf oder sechs Söhne reicher Eltern auf die Idee kommen, einen nicht
     mehr taufrischen Mafiapaten zu entführen, ihr Plan geht natürlich nicht auf, und sie werden einer nach dem anderen erschossen.
     Wir saßen auf Stühlen, und sie sagte: Es sind sechs Entführer, und außerdem hat er einen einzigen geschont, und sonst alle
     kaltgemacht. Ich war verwirrt, ich hatte also den Film nicht wirklich verstanden, ich war verlegen. Wegen ihr. Fünf oder sechs
     junge Männer, ich dachte darüber eine Weile nach, sie hatte sich schon von mir verabschiedet und war gegangen, und dann fühlte
     ich mich komisch.
    An meinem letzten Tag kam sie wieder, sie stürzte ins Hotelfoyer, und als sie mich im Sessel
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