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Hinterhalt

Titel: Hinterhalt
Autoren: Garry Disher
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Vergeltung üben werde für die Widrigkeiten, die sie ihm in der Vergangenheit beschert hatte. Aber auch für die gegenwärtigen, von denen er sicher glaubte, dass sie auch die zu verantworten habe.
    Wenigstens wusste sie nun, dass er am Leben war. Einen Moment hatte sie gedacht, er sei tot. Sie hatte ein kleines Radio mit zur Arbeit genommen und einige Meldungen verfolgt und versucht, sich einen Reim darauf zu machen. Eine Schießerei in der Bank, zwei Männer tot, ein dritter Mann flüchtig mit einem kleinen Teil der Beute. Dann die Nachricht, dass man einen weiteren Toten auf dem Campus der Universität gefunden habe, den man mit dem Bankraub in direkten Zusammenhang bringe.
    Sie war nahe dran, die Kontrolle über sich zu verlieren. Drei Partner, drei Leichen. Keine Namen, keine Hinweise darauf, was schief gelaufen war. Wyatt hätte einer der Toten sein können, und in den Minuten, bevor sich die Fahrstuhltür im siebten Stock öffnete, ließ sie sich sogar zu einem Gebet für ihn hinreißen.
    Sie hatte nicht geglaubt, dass es etwas für immer und ewig sein werde. Nicht einmal im Nachklang einer Form von Intimität, die ihr gezeigt hatte, dass Sex mehr sein konnte als ein flüchtiger Moment der Hingabe. Sie hatte sich und ihm sechs Monate, vielleicht ein Jahr gegeben. Und vor einer ganzen Ewigkeit, vor drei Monaten in Melbourne, hatte er gesagt, sie könnten zusammenarbeiten, er könne Jobs an Land ziehen, bei denen eine Frau von Nutzen sei. Drei lange Monate, in denen kein Tag verging, an dem sie sich nicht nach seiner Schärfe, seiner Wachsamkeit und seinem hintergründigen Witz gesehnt hatte.
    Sie erinnerte sich an das Gefühl, als sie ihn dann an den Schließfächern der Busstation wiedergesehen hatte. Die Augen in dem asketischen Gesicht wirkten müde und erschöpft, sein Körper aber war drahtig wie eh und je, jederzeit bereit zum Kampf oder Absprung. Es war offensichtlich, dass er auf seiner Flucht harte Zeiten durchlebt hatte, bewältigt allein durch seine Willensstärke. Ein Tanz auf dünnem Eis, das nun unter ihm zu brechen drohte.
    Später, im Bistro in der Mall, dann das Tauziehen. Es hatte etwas Unnachgiebiges, Endgültiges in der Art und Weise gelegen, wie er sie gemustert hatte, wortkarg und mit dem durchdringenden Blick der dunklen Augen. Hätte sie etwas zu verbergen gehabt, sie hätte diesem sezierenden Blick nicht standhalten können. Wäre ihm auch nur der leiseste Zweifel an ihrer Geschichte gekommen, er hätte sie umgebracht, dessen war sie sich bewusst.
    Vielleicht käme es eines Tages dazu. Nie würde er verzeihen oder vergessen, der Schaden war irreparabel.
    Im Bistro hatte er sie nicht einmal berührt. Auch als er später zu ihr kam, hatte er es anfänglich vermieden. Als er es dann aber tat, beide Hände an ihren Hüften, die Handflächen warm, aufgeladen, hatte es sie durchzuckt und sie hatte beobachten können, wie seine Schutzhülle dahinschmolz und das wahre Ich zum Vorschein kam.
    Eine Zukunft mit Wyatt wäre für sie denkbar gewesen — eine kleine, sechs Monate, ein Jahr. Zu Männern, die mit Feingefühl und Rücksicht an ihr Ziel zu kommen versuchten, hatte sie sich nie hingezogen gefühlt.
    Nun hatte sie alles verloren. Und es war nicht einmal ihre Schuld.
    Die Fragen hatten nicht aufgehört. Detectives vom Raubdezernat hatten sie abwechselnd vernommen, zuerst auf dem Revier, dann im Untersuchungsgefängnis. Sie hatten sie weder über die Vorfälle informiert noch hatten sie verraten, wie man auf sie gekommen war.
    Sie hatten Fotos.
    Dann musste sie ihre Kleidung ablegen — Rock, Seidenbluse, Nylonstrümpfe — und gegen einen Trainingsanzug mit Anstaltsemblem und Leinenschuhe eintauschen. Man brachte sie in einen Verhörraum. Dort lagen ein Dutzend Schwarzweißaufnahmen ausgebreitet auf dem Tisch.
    Eine Wasserkaraffe. Drei Gläser. Aschenbecher. Drei Stühle. Auf den einen wurde sie gedrückt, auf dem zweiten, ihr gegenüber, nahm ein Detective Platz und der dritte Stuhl war für eine Polizistin, die es aber vorzog, hinter Anna stehen zu bleiben. Von Zeit zu Zeit beugte sie sich zu Anna hinunter und Anna roch ihr billiges Parfüm.
    Eine weitere Frau stand an der Tür.
    Er hieß Vincent, die Frau hinter Anna war Clyne. »Fangen wir also noch mal von vorn an«, sagte Vincent.
    »Ein paar Namen!«, Clynes abgestandener, warmer Atem verfing sich in Annas Haar.
    Mit den Fingerspitzen drehte Vincent mehrere Fotos in Annas Richtung. Zwei grobkörnige Bilder aus großer Entfernung,
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