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Hinter verzauberten Fenstern

Hinter verzauberten Fenstern

Titel: Hinter verzauberten Fenstern
Autoren: Cornelia Funke
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Julia. Laut sagte sie: »Ich wollte sowieso heute zu Anja rübergehen.«
Ihre Eltern waren zufrieden. Ihr Bruder nicht. Er merkte immer, wenn sie log. Aber außer düster zu gucken konnte er nichts machen. Gar nichts. Julia blieb so lange oben an ihrem Fenster sitzen, bis das Auto ihrer Eltern samt Olli auf dem Rücksitz um die Ecke verschwunden war. Dann sprang sie auf ihr Bett und lugte in das oberste Kalenderfenster. Nein, auf dem Dachboden war Jakobus nicht. Sie versuchte es ein Stockwerk tiefer. Ja, da stand er. Mit einem dicken Buch in der Hand. Als er sie sah, winkte er. Julia winkte aufgeregt zurück.
Ein paar Minuten später stand sie vor ihm. »Du kommst ja heute schon so früh«, sagte der Erfinder und strahlte sie glücklich an. »Da können wir unseren kleinen Ausflug ja eigentlich auch schon heute machen.«
»Was denn für einen Ausflug?«, fragte Julia neugierig.
»Zum König!«, sagte Jakobus. »Alle Kalenderhausgäste werden dem König vorgestellt.«
»Du meinst, wir besuchen einen echten König?«, fragte Julia.
»Ja, natürlich«, sagte Jakobus und nahm den großen, schwarzen Mantel vom Haken. »Das wird eine Aufregung bei Hof geben! Nach so vielen Jahren endlich wieder ein Gast! Und ich, Jakobus Jammernich, werde dich begleiten. Welch eine Ehre!« Jakobus seufzte vor Glück und schlüpfte in seinen Mantel.
Julia sah ihn an und musste sich ein Kichern verkneifen. Von dem kleinen Jakobus waren gerade noch die Fingerspitzen, die Schuhe, seine große Nase und ein paar silbrige Locken zu sehen. Und zwei braune Augen, die sehr stolz und glücklich dreinschauten.
»Ist der Mantel nicht wunderbar?«, tönte es hinter dem riesigen Kragen hervor.
»Einmalig!«, sagte Julia.
»Für dich habe ich auch etwas«, sagte Jakobus und zog eine dicke, bunte Strickjacke aus einem Regal hervor. »Zieh das über, es ist kalt draußen.«
Die Jacke war wunderbar warm. »So seh ich aber nicht besonders feierlich aus«, sagte Julia und sah zweifelnd an sich hinunter.
»Das macht nichts«, sagte Jakobus, »unser König ist blind wie ein Maulwurf. Ich zieh mich nie um, wenn ich ins Schloss fliege.«
»Hast du fliegen gesagt?«, fragte Julia erstaunt.
»Natürlich. Oder glaubst du, ein Flugmaschinenerfinder geht zu Fuß bei diesem Wetter?«
»Ich bin noch nie geflogen.« Julia bekam ganz leuchtende Augen vor Aufregung.

    »Na, dann wird es aber Zeit!«, sagte Jakobus. »Wir starten vom Dachboden. Komm!«
»Wie sollen wir denn von hier starten?« Julia sah sich ratlos um.
»Das wirst du schon sehen.« Jakobus kicherte vergnügt. »Irgendwo hatte ich doch noch zwei alte Kissen. Wo sind die bloß?«
Während der kleine Mann in seinen Kartons herumwühlte, blickte Julia durch das Dachbodenfenster nach draußen. Sie sah hinunter auf den vereisten See, der selbst von hier oben riesig aussah, auf unzählige kahle Baumkronen, verschneite Wiesen und Hügel, die zum Horizont hin immer höher und steiler wurden.
»Na endlich, da sind sie ja!«, rief Jakobus und warf zwei löchrige Kissen in die alte Badewanne. Dann öffnete er den verschnürten Sack und zerrte ein riesiges Bündel bunten Stoff und einen Gummischlauch heraus. An dem Stoff baumelten dicke Seile, die am Ende einen eisernen Haken hatten.
»Das ist mein Ballon!«, sagte Jakobus stolz. »Hakst du schon mal die Seile fest? Dann kann ich inzwischen den Schlauch anschließen.«
»Festhaken?«, fragte Julia verdutzt. »Woran denn?«
»Na, an der Badewanne natürlich«, sagte Jakobus und schob den Schlauch auf einen Hahn, der aus der Wand ragte.
In dem Badewannenrand waren große Löcher. Julia steckte versuchsweise einen Haken hindurch. Er passte.
»Und was jetzt?«, fragte sie, als alle Seile an der Wanne baumelten.
»Jetzt kommt noch die Steuerung.« Jakobus reichte ihr ein langes Rohr mit einem kleinen Lenkrad am Ende. »Steck das mal in den Abfluss der Wanne.«
Das ist verrückt!, dachte Julia, während sie in die Wanne kletterte und das komische Ding festmachte. Total verrückt!
»Fertig?«, fragte Jakobus und schob ein paar Kartons zur Seite.
»Fertig«, sagte Julia und setzte sich auf eins der Kissen.
Hinter den Kartons war ein großes, rostiges Eisenrad zum Vorschein gekommen, das zwischen staubigen Spinnweben aus der Wand ragte.
»Achtung!«, rief Jakobus und drehte es langsam nach rechts. Über Julias Kopf begann es zu ächzen und zu krachen, als käme jeden Moment das ganze Dach herunter. Der Dachfirst klappte auf wie eine Handtasche, und der blaue Himmel sah zu ihnen
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