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Hinter verzauberten Fenstern

Hinter verzauberten Fenstern

Titel: Hinter verzauberten Fenstern
Autoren: Cornelia Funke
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sieht man ja nur mein Zimmer.«
»Tja, das ist nun mal ein Kalenderfenster«, sagte Jakobus, »aber vom Dachboden aus kannst du hinaussehen. Willst du?«
Julia nickte.
»Gut«, sagte Jakobus. »Dann hole ich die Leiter.«
    »Das ist unsere Welt«, sagte Jakobus. »Viel ist jetzt natürlich nicht zu erkennen. Aber tagsüber kann man von hier oben viele Meilen weit sehen.« Er und Julia standen vor einem kleinen Dachfenster und sahen hinaus. Weit, weit unten schimmerte das Eis des zugefrorenen Sees im Sternenlicht.
    »Ich habe noch nie so viele Sterne gesehen«, sagte Julia. »Dann wohnst du bestimmt in einer Stadt, oder? Wo viele
    Lichter sind, sieht man die Sterne nicht so gut.« Jakobus gähnte. »Oh, entschuldige, ich fürchte, ich werde etwas müde.«
    »Ich glaube, ich auch«, sagte Julia und gähnte ebenfalls. »Dann lass uns wieder nach unten steigen«, meinte Jakobus und drehte sich um. »Ich will dir noch etwas geben, bevor du nach Hause gehst.«
Julia warf einen Blick auf die Kartons und den alten Kleiderständer mit der karierten Jacke. Nachdenklich strich sie mit den Fingerspitzen über den dünnen Stoff: »Ist das deine Jacke, Jakobus?«, fragte sie.
»Ja, das ist meine Sommerjacke«, sagte der kleine Mann und begann die alte Holzleiter hinunterzusteigen. »Im Winter häng ich sie immer hier auf.«
»Ach so«, sagte Julia.
»Kommst du?«, fragte Jakobus.
»Ja.« Vorsichtig kletterte Julia hinter dem kleinen Mann her: Jakobus hüpfte von der letzten Sprosse zu Boden, stellte sich auf die Zehenspitzen und pflückte eine der kleinen Flugmaschinen von der Decke.
»Das möchte ich dir schenken.« Der kleine Mann hielt Julia verlegen das schimmernde Ding entgegen.
»Das ist wunderschön!«, sagte Julia. »Wunderwunderschön!«
»Es ist aus einer Konservendose gemacht«, sagte Jakobus, »und es fliegt wirklich. Pass auf.« Er drückte auf einen winzigen Knopf; und das Maschinchen schwang sich schnurrend von seiner Hand in die Luft. Es flog eine kleine, wacklige Runde einmal um die staunende Julia herum und landete wieder in der Hand seines Erfinders. »Gefällt sie dir?«, fragte Jakobus.
»O ja!«, sagte Julia und nahm das schimmernde Ding andächtig entgegen. »Vielen, vielen Dank!«
»Ich würde mich sehr freuen«, sagte Jakobus und sah verlegen auf seine Füße, »wenn du morgen wiederkommst. Meinst du, dass du Lust dazu hast?«
»Ich komme ganz bestimmt«, sagte Julia. »Großes Ehrenwort.«

    Der kleine Erfinder strahlte übers ganze Gesicht. »Dann bis morgen«, sagte er. »Und ich wünsche dir schöne Träume heute Nacht.«
Julia stand auf ihrem Bett und sah sich um. Jakobus hatte Recht gehabt. Sie hatte sich nur vor das Kalenderfenster gestellt und lange genug in ihr Zimmer geschaut, und – schwups – war sie wieder hier. Unglaublich.
Sie drehte sich zum Kalender um. Aber die Fenster waren dunkel. Jakobus Jammernich war zu Bett gegangen. Julia blickte auf die kleine Flugmaschine in ihrer Hand. Vorsichtig drückte sie auf den Knopf. Das kleine Ding brummte und bebte wie eine dicke Hummel, flog eine Runde durch Julias Zimmer und landete brav wieder in ihrer Hand. Zärtlich strich Julia mit dem Finger über die glänzenden Flügel.
Dann sah sie sich stirnrunzelnd in ihrem Zimmer um. Wo konnte sie ihren Schatz verstecken? Am besten ganz oben im Regal hinter den Büchern. Da kam sogar sie nur mit dem Stuhl dran. Also war das Versteck für Olli absolut unerreichbar. Gedacht, getan. Zufrieden zog sie sich aus, knipste das Licht aus und kroch in ihr Bett. Der Kalender über ihr glitzerte und funkelte wie in der Nacht zuvor.
Was für ein Abenteuer! Julia rollte sich wohlig auf die Seite. Keiner würde ihr das glauben. Aber das machte nichts. Sie hatte sowieso keine Lust, es irgendjemandem zu erzählen.

5. Kapitel

    Der nächste Tag war ein Samstag. Julias Eltern wollten Freunde besuchen, die zwei Kinder in Ollis Alter hatten.
    »Da will ich nicht mit hin«, sagte Julia, »ich hab keine Lust, den ganzen Tag mit den Knirpsen zu spielen.«
»Du bist blöd!«, sagte Olli.
Er hatte heute Morgen ganz fasziniert vor dem zweiten Bild geklebt. Aber sie hatte ihn rechtzeitig mit einer Tüte Gummibärchen abgelenkt. Das fehlte noch, dass sie ihr Geheimnis irgendwann mit ihm teilte. Sie würde dafür sorgen, dass er sich die Bilder nie zu lang ansah.
»Macht es dir denn nichts aus, hier den ganzen Tag allein zu sein?«, fragte Mama besorgt. »Wir sind bestimmt erst am späten Nachmittag zurück.«
Wunderbar, dachte
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