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Hinter verzauberten Fenstern

Hinter verzauberten Fenstern

Titel: Hinter verzauberten Fenstern
Autoren: Cornelia Funke
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Kopf. Breites – oberbreites Lächeln. Absolut unwiderstehlich!
Ihre Mutter drehte sich um, sah Olli an – und musste lachen. Er hatte mal wieder gewonnen. Mama griff in die größte Tüte, zog vorsichtig zwei Kalender heraus und legte sie nebeneinander auf den Küchentisch.
Der eine sah fast genauso aus wie der, den Julia letztes Jahr bekommen hatte. Mit einem dicken Nikolaus und kleinen Engeln und Tieren und Tannenbäumen und einem Schlitten voller Geschenke. Na ja, eben wunderschön. Eindeutig ein dicker, fetter, herrlicher Schokoladenkalender. Aber der andere – Julia runzelte die Stirn –, der andere sah komisch aus. Erstens war weit und breit nichts von einem Nikolaus zu sehen. Und es gab auch keine Engel oder Tiere. Es gab nur ein großes Haus. Ein blödes, dunkles Haus mit ein paar blöden Bäumen drum rum. Sonst nichts. Absolut nichts.

    Und zweitens – das war das Schlimmste, der Kalender war zu dünn. Julia fasste prüfend die Kante an. Keine Frage. Da passte nicht mal das klitzekleinste Schokoladentäfelchen rein.
»So, der ist für dich«, sagte Mama. Strahlend nahm Olli den dicken, fetten Schokoladenkalender entgegen.
Sie hatte es gewusst. Schon als Mama den komischen Kalender auf den Tisch gelegt hatte. Julia kniff die Lippen zusammen und warf ihrer Mutter den finstersten Blick zu, den sie zustande brachte.
»Und der hier ist für dich, Julia«, sagte Mama und lächelte dabei auch noch stolz.
»Das ist ja überhaupt kein Schokoladenkalender«, sagte Julia und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Den will ich nicht.«
Ihre Mutter guckte furchtbar enttäuscht. »Aber ich dachte…«, sie hob ratlos die Augenbrauen, »ich dachte, du bist jetzt schon zu groß für diese…«
»Ich bin doch erst neun!«, sagte Julia empört und warf dem kleinen Bruder einen hasserfüllten Blick zu. Aber der strahlte sowieso bloß seinen Schokoladenkalender an.
»Ach, Julia«, sagte Mama tröstend und strich ihr übers Haar, »ich wollte dir doch eine Freude machen, ich…«
»Ich wollte aber einen Schokoladenkalender«, sagte Julia und starrte auf ihre Füße. »Er hat ja auch einen gekriegt!«
»Olli ist ja auch kleiner als du, und außerdem –, ach was!« Ihre Mutter drehte sich ärgerlich um und ging zurück zu ihrer Kaffeemaschine, schaufelte Massen von Kaffeepulver in den Filter und machte sie an. Das Ding fing fast sofort an zu blubbern und zu glucksen.
»Gib mir bitte mal einen Becher aus dem Schrank.« Julia ging zum Schrank und holte den Becher. Am liebsten hätte sie ihn auf dem blöden Kalender zerdeppert.
»Sieh ihn dir doch wenigstens mal an!«, sagte Mama.
Julia schüttelte den Kopf.
»Na, dann nicht!«, sagte Mama und knallte den leeren Becher auf den Tisch. Ihre Stimme klang überhaupt nicht mehr freundlich. »Dann hast du dieses Jahr eben keinen Kalender. Glaub bloß nicht, dass ich dir noch einen kaufe.«
»Mama, hängst du jetzt meinen Kalender auf?«, fragte Olli und grinste dabei triumphierend zu seiner großen Schwester hinüber.
»Ja, ich komme«, sagte ihre Mutter und ging zur Tür. »Und du, Julia, gehst jetzt wohl besser nach oben in dein Zimmer und kühlst dich ab.«
Und mit diesen unfreundlichen Worten drehte sie sich um und verschwand mit Olli in seinem Zimmer. Julia und der Kalender waren allein.
»Du blödes, hässliches Pappding!«, zischte sie und schubste ihn ein Stück über den Tisch. Dann rannte sie die Treppe hinauf in ihr Zimmer.

2. Kapitel

    Julia konnte nicht einschlafen. Zum Abendessen war sie nicht runtergegangen und auch nicht zum Waschen. Nicht mal zum Fernsehen. Sie war wütend, enttäuscht und beleidigt. Sie hatte ihre Zimmertür abgeschlossen – mit dem Schlüssel, den sie für Notfälle hinter ihren Büchern versteckt hatte. Und dann hatte sie das Licht ausgemacht, sich aufs Fensterbrett gesetzt und hinausgestarrt auf die wirbelnden Flocken, den schwarzgrauen Himmel und die kahlen, schwarzen Bäume. Und sich vor Wut fast ein Loch in den Bauch geärgert. Als Mama sie zum Abendessen holen wollte, gab sie einfach keine Antwort. Und als Papa hochkam und sagte, sie solle jetzt, verdammt nochmal, rauskommen, sagte sie nur laut: »Ich will aber nicht!«
    Ihre Eltern klopften noch zweimal. Sogar Olli kam und bot ihr die Schokolade aus einem seiner Türchen an. Wie großzügig! Aber sie schloss nicht auf. Schließlich ließen sie sie in Ruhe. Und jetzt lag sie im Bett, starrte die Decke an und konnte nicht einschlafen. So ein Mist. Im Haus rührte sich nichts mehr.
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