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Hinter verzauberten Fenstern

Hinter verzauberten Fenstern

Titel: Hinter verzauberten Fenstern
Autoren: Cornelia Funke
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herunter.
»Heißluft los!«, rief Jakobus und drehte den Hahn auf, an dem der Schlauch hing. Sofort begann der bunte Stoff sich aufzublähen. Er wölbte sich höher und höher, bis er aus dem geöffneten Dach herausquoll. Die Seile an der Badewanne strafften sich, und Julia merkte, wie sich das merkwürdige Gefährt langsam vom Boden erhob.
»Jakobus!«, rief sie. »Schnell, steig ein! Es fliegt!«
»Ich komme!«, rief der kleine Erfinder und zog den Schlauch ab. Dann sprang er mit einem erstaunlichen Satz in die schwebende Badewanne und stellte sich ans Lenkrad. Die Badewanne stieg immer schneller und schneller dem Himmel entgegen. Der riesige Ballon über ihnen schillerte in allen Farben.
»Hurra!« Jakobus riss sich die Lockenperücke vom kahlen Kopf und schwenkte sie im Wind. »Hurra, wir fliegen!«
Julia war sich noch nicht ganz sicher, ob sie das Fliegen wunderbar oder schrecklich fand. Vorsichtig warf sie einen Blick über den Badewannenrand nach unten. Das offene Dach lag bereits tief unter ihnen, und der See war nur noch so groß wie ein Spiegelei. Jakobus stülpte sich seine Perücke wieder über und zwinkerte Julia zu.
»Na?«, fragte er. »Wie fühlst du dich?«
»Ich weiß noch nicht«, sagte Julia. »Mein Magen fühlt sich an, als ob tausend Käfer drin rumkrabbeln.«
»Das ist normal«, sagte Jakobus, »du wirst sehen, das wird gleich besser.«
»Wie lange fliegen wir denn bis zum König?«
»Oh, da der Wind uns heute nicht allzu viel ärgert, höchstens eine halbe Stunde. Ist dir kalt?«
»Nein.« Julia schüttelte den Kopf und blickte wieder hinunter zur Erde. Nichts als Schnee und kahle Baumkronen. Und dazwischen ein paar sehr verfallene Häuser.
»Was sind das für Häuser da, Jakobus?«, fragte Julia. »Die Türen sind mit Brettern zugenagelt. Die Fenster sind kaputt, und in den Dächern sind riesige Löcher.«
»Das sind verlassene Kalenderhäuser. Ihre Bewohner sind schon lange fort.«
»Aber wieso denn?«
»Tja. Sie haben lange gewartet, dass sich ein Fenster öffnet und jemand wie du hineinschaut«, sagte Jakobus. »Irgendwann waren sie das Warten leid und haben ihre Häuser verlassen.«
»Das hört sich traurig an«, sagte Julia.
»Stimmt.« Jakobus nickte. »Das ist es auch. Ich habe schon oft gedacht, dass unser Haus bald genauso aussieht wie die da unten. Du bist gerade noch rechtzeitig gekommen!«
»Na, da bin ich aber froh!« Julia seufzte und blickte hinunter auf die verlassenen Häuser. »Jakobus?«, fragte sie. »Warum kommen denn nur noch so selten Kinder zu euch?«
»Wegen der neuen Schokoladenkalenderhäuser.« Der kleine Mann blickte plötzlich sehr ärgerlich. »Diese Schokohäuser sind einfach furchtbar. In ihnen wohnt niemand. Es sind auch keine richtigen Zimmer mehr drin. Aber ihre Wände sind mit Nikoläusen und Tieren und all so was bemalt, und hinter den Fenstern sind Schokoladenstücke.« Jakobus seufzte. »Ich glaube, die meisten Kinder wollen heute lieber ein Stück Schokolade, statt sich Bilder von Zimmern und merkwürdigen Leuten anzusehen.«
»Oh!«, sagte Julia und bekam ein ziemlich schlechtes Gewissen.
»Sieh mal da!« Jakobus zeigte nach vorn. »Da kann man schon das Schloss sehen. Jetzt haben wir’s gleich geschafft!«
»Schön«, murmelte Julia, aber sie musste immer noch an die verfallenen Kalenderhäuser denken. Sie hatten wirklich furchtbar traurig ausgesehen. Jakobus lenkte die Ballonwanne vorsichtig auf das Schloss zu.

    »Siehst du den dicken Turm da?«, fragte er. »Wir machen an seinen Zinnen fest, dann muss ich keine Luft ablassen.«
Das Schloss lag jetzt direkt unter ihnen. Seine Mauern waren weiß wie der Schnee auf den Hügeln ringsum, und seine Dächer waren schwarz wie die kahlen Bäume.
»Das ist ja riesig!« Staunend blickte Julia nach unten.
Sie schwebten nun genau neben den Zinnen des dicken Turmes. Unter ihnen lag das Gewirr von Treppen und Höfen, Dächern, Terrassen, Ställen, Türmen und Türmchen, das den Königspalast bildete. Hunderte von bunt gekleideten Menschen wimmelten auf den Treppen herum, verschwanden in Türen und lehnten aus den unzähligen Fenstern. Julia flimmerte es vor den Augen vom Hinsehen.
Jakobus warf ein Seil um eine der Zinnen und legte sein Ballonmobil damit so nah neben dem Turm vor Anker, dass sie bequem hinüberklettern konnten.
»So«, meinte er, als sie beide wieder auf steinernem Boden standen, »jetzt hoffe ich nur, dass ich den Thronsaal finde, ohne mich zu verlaufen.«
»Ich bin ziemlich aufgeregt!«,
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