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Hinter verschlossenen Türen

Titel: Hinter verschlossenen Türen
Autoren: Anne Kathrine Green
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versetzte der andere, und als das Mädchen wieder herauskam, fügte er hinzu, so daß diese es hören mußte: Wenn es die Kranke ist, die Sie suchen, werden die Eltern Ihnen für Ihren Beistand aufrichtigen Dank wissen.
    Doktor Kameron bezwang sein natürliches Widerstreben und folgte finstern Blickes dem Detektiv, der schon die Zimmerschwelle überschritten hatte.
    Der Alkoven, den sie betraten, war ein düsteres Gemach, in welchem neben dem Bett und dem Kleiderschrank nur noch wenig Platz blieb. Zwischen den schweren Vorhängen, die den Raum von dem dahinter befindlichen Zimmer trennten, bemerkte der Doktor einen schmalen Lichtstreifen; rasch schritt er nach der Oeffnung und blickte hindurch.
    Es war ein erschütternder Anblick, der sich ihm bot. Ein Weib kniete vor dem Feuer, den hoffnungslosen Blick starr auf ein Papier gerichtet, das soeben im Kamin zu Asche verzehrt ward. Die flammende Glut verlieh ihren bleichen Wangen keine Farbe, sie sah aus, als ob es für ihr verzweifeltes Herz keinen Trost, keine Hoffnung gäbe, weder in dieser Welt noch in einer zukünftigen. Des Doktors schneller Blick haftete auf den Zügen und der Gestalt der Knienden. Augenblicklich wußte er, daß es niemand anders war als Genofeva Gretorex.
    Als er zurücktrat, stand ihm die Wahrheit deutlich auf dem Gesicht zu lesen. Der Detektiv nahm ihn beim Arm und zog ihn, ohne ein Wort zu sagen, nach dem Ausgang hin. Aber ein Gefühl des Erbarmens mit dem Jammer, den er geschaut, trieb den Doktor noch einmal an den Vorhang zurück. Sein Blick war milder, während er hindurchsah, und schon hob er, wie in unbezwingbarem Drang, die Hand, um den Vorhang zurückzuschlagen und einzutreten, als ihn sein Gefährte fest am Arm ergriff. Er gab diesem wohlgemeinten und entschiedenen Winke nach, wandte sich und folgte Gryce auf den Gang hinaus.

    Also kein Irrtum? fragte der Detektiv.
    Kameron schüttelte den Kopf.
    Leise schloß Gryce die Tür, durch welche sie gekommen waren. Es ist nicht die Person, welche wir suchen, sagteer zu dem in der Nähe wartenden Mädchen, dem er den Schlüssel übergab. Dann wandte er sich ruhig der Treppe zu, aber der Doktor hielt ihn zurück.
    Was werden Sie nun tun? fragte er. So schnell wie möglich nach dem St. Nikolaus-Platz fahren.
    Und ich? – was meinen Sie?
    Der Detektiv sagte mit einer kurzen Handbewegung: Ich möchte Ihre weiteren Schritte nicht beeinflussen.
    Allein Kameron ließ ihn noch nicht los.
    Herr Gryce, sagte er, haben Sie die junge Dame selbst gesehen?
    Freilich, war die Antwort, kurz ehe ich Sie aufsuchte.
    Ist Ihnen aufgefallen, wie bleich, wie unglücklich sie aussieht?
    Nicht daß ich wüßte.
    Sie ist ein wahres Bild der Verzweiflung.
    Gryce zog die Hand vom Treppengeländer zurück.
    Ihre eigene Gemütsbewegung muß Sie täuschen, sagte er. Noch vor drei Stunden sah sie blühend und hoffnungsvoll aus.
    Ueberzeugen Sie sich selbst, sagte der Doktor, wenn mich nicht alles trügt, ist es ein elendes, verzweifeltes Weib, das wir da drinnen zurücklassen.
    Der Detektiv zögerte nicht länger. Leise schlich er zurück, verschaffte sich den Schlüssel zum zweitenmal, sah mit eigenen Augen und trat ganz verstört wieder heraus.
    Unbegreiflich! schien der Blick zu sagen, mit dem er dem gefälligen Dienstmädchen den Schlüssel abermals einhändigte. Dieses mußte sein Staunen wohl bemerken und ließ einige Worte fallen, bei welchen Gryce in seltsame Aufregung geriet. Er stellte noch mehrere kurze Fragen und eilte dann schnell ins Bureauzimmer hinunter, aber nicht auf der Treppe, an welcher Doktor Kameron wartete. Fünf Minuten vergingen, ohne daß er zurückkam; der Doktor wollte eben die Geduld verlieren, als der Detektiv unten an der Treppe erschien und ihn zu sich herabwinkte. Kameron eilte hinunter und bemerkte sofort, daß mit Gryce etwas Besonderes vorgegangen sein müsse.
    Nun, fragte er, haben Sie sich überzeugt?
    Gryce lachte – er tat das nur zuweilen – und eiltedem Ausgang zu. Kommen Sie, rief er, wir haben keine Zeit zu verlieren.
    Sie vielleicht nicht, sagte der Doktor entschlossen; aber mein Platz ist hier. Fräulein Gretorex sah aus, als bedürfe sie eines Freundes, und wenn sie in der Tat gemütskrank ist, so –
    Hören Sie, erwiderte der andere in kurzem, scharfem Ton, vor fünf Minuten noch hätte ich Ihnen vielleicht beigestimmt, aber ich habe etwas erfahren, was meine Ansicht von der Sache ändert. Seit ich vor drei Stunden die Dame sah, hat sie den Besuch eines Herrn empfangen.
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