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Hinter verschlossenen Türen

Titel: Hinter verschlossenen Türen
Autoren: Anne Kathrine Green
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und erwartungsvoll; ganz wie ein Mädchen, das im Begriff steht, sich mit einem ihrer würdigen Manne zu vermählen, den sie achtet und liebt. Nun erscheint ein Fremder. Sie hat eine lange Unterredung mit ihm, und die Folge derselben ist eine gänzliche Veränderung ihres Wesens, die auf einen Umschwung in allen ihren Plänen schließen läßt. Wir erfahren, daß zwar eine Hochzeit stattfinden soll, aber der Name des Bräutigams ist ein anderer, und die Feier soll in demselben Gemach vor sich gehen, in welchem sie sich soeben ihrer Verzweiflung hingegeben hat. Was läßt sich daraus schließen? Gewiß mancherlei; aber mir drängt sich vor allem der Gedanke auf, daß Fräulein Gretorex in ihrem innersten Herzen den Mann liebt, welchen sie zu fliehen scheint. Vielleicht glaubt sie irgendeiner falsch verstandenen Pflicht genügen zu müssen und geht deshalb diese neue und überraschende Verbindung ein. Wenn dem so ist –
    Dem sei wie ihm wolle, entgegnete der Doktor kalt, für mich ist sie in jedem Fall verloren.
    Er liebt sie nicht, dachte der Detektiv; dann fuhr er fort: Sie geht einem traurigen Geschick entgegen. Eine Heirat, die auf solche Weise und unter so geradezu schimpflichen Umständen zustande kommt, setzt die junge Dame nicht nur in ihren eigenen Augen herab, sondern verstößt sie auch für immer aus der Gemeinschaft ihrer Verwandten und Freunde, aus allem Verkehr mit ihrer bisherigen Welt. Ihr Unglück ist besiegelt, wenn wir die Trauung nicht verhindern. Ihre Mutter ist die einzige Person, die hier noch Rat undHilfe schaffen und der Sache Einhalt tun kann, da Sie sich dieser Aufgabe nicht gewachsen fühlen – und zu ihrer Mutter eilen wir jetzt.
    Des Doktors finstere Miene hellte sich nicht auf.
    Sie haben recht, sagte er; teilen Sie Frau Gretorex so schnell wie möglich mit, in welcher Lage sich ihre Tochter befindet. Aber weshalb soll ich dabei zugegen sein?
    Damit kein Schatten auf Ihren guten Namen fällt. Sie werden zur Trauung mit Fräulein Gretorex um acht Uhr erwartet. Wenn die Braut »zu krank« ist und die Feier daher nicht stattfinden kann, so wird die Welt Sie wegen dieses Mißgeschicks höchlichst bedauern. Wenn Sie aber nicht an Ort und Stelle sind –
    Er hielt inne; des Doktors ganzes Wesen war auf einmal wie umgewandelt.
    Schnell, schnell, rief er, damit wir noch zur rechten Zeit eintreffen, ich gebe alles darum, wenigstens meine Ehre zu retten.
    Jetzt war es Kameron, der den Kutscher antrieb und zuerst aus dem Wagen sprang, um die Treppe zu dem Perron der Stadtbahn hinaufzueilen.
    Es traf sich glücklich, daß ein Zug zur Abfahrt bereit stand, und als die beiden im Wagen saßen, atmeten sie erleichtert auf. In fünfundzwanzig Minuten konnten sie die 125. Straße erreichen, in fünfzehn Minuten quer durch die Stadt fahren und eine Viertelstunde später am Hause anlangen. Das waren fünfundzwanzig Minuten, und es fehlte noch eine Stunde und vierzig Minuten bis acht Uhr. Dann galt es, Frau Gretorex schleunigst von der kritischen Lage ihrer Tochter zu unterrichten; denn vor neun Uhr mußte sie ja bei ihr im Hotel sein. Ließ sich das bewerkstelligen? Die ruhige Zuversicht des Detektivs ließ keinen Zweifel an der Ausführbarkeit des Planes.
    Es können jedoch Unfälle eintreten, die jede Berechnungzu schanden machen. Eben bemerkten sie noch mit Befriedigung, wie schnell ihre Fahrt von statten gehe, da erfolgte ein plötzlicher Stoß, und der Zug stand still. Die Ursache ward schnell bekannt: die Maschine war defekt geworden, und so mußte man zwischen zwei Stationen so lange halten, bis dem Uebelstand abgeholfen werden konnte.
    Gryce und Kameron sahen einander entsetzt an: mindestens eine halbe Stunde Aufenthalt! Selbst wenn es ihnen gelang, um acht Uhr das Haus zu erreichen, so war es doch fast unmöglich, daß Frau Gretorex noch bis neun Uhr in dem Hotel sein und die Heirat ihrer Tochter verhindern konnte. Das Schicksal derselben war also besiegelt und zwar durch eine höhere Hand, der gegenüber sie ohnmächtig waren. Kameron fühlte sich bei diesem Gedanken tief ergriffen. Wie er Doktor Molesworth kannte, glaubte er nicht, daß ihr Los an seiner Seite ein glückliches werden könne. Jener stand völlig außerhalb der Welt, der sie angehörte; wie sollte ihr stolzes Gemüt seine schroffe Art und Weise, sein rauhes Wesen ertragen? Im Geist sah er sie mit all ihren vornehmen Neigungen, ihrer feinen Bildung, unauflöslich an diesen strengen, verschlossenen, barschen Mann gekettet, der bei
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