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Hingabe

Hingabe

Titel: Hingabe
Autoren: Lisa Renee Jones
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Er trinkt mehr Wein, dann legt er sich auf den Boden, die Flasche in einer Hand, den anderen Arm über den Augen. »Und ich war mit im Auto.«
    Mir stockt der Atem. Er war ein kleines Kind. Viel zu klein, um mit ansehen zu müssen, wie seine Mutter stirbt. Ich bin kaum mit dem Verlust meiner eigenen Mutter fertiggeworden, als ich bereits erwachsen war.
    »Ein Laster hat uns angefahren«, fährt er fort. »Der Mann, der am Steuer saß, hatte einen diabetischen Schock und ist ohnmächtig geworden. Er ist auf die Gegenfahrbahn geraten und hat uns frontal erwischt. Metall hat sich durch die Windschutzscheibe gebohrt.« Er hält inne, sein Atem rasselt. »Ich war angeschnallt auf dem Rücksitz, und sowohl mein Vater als auch ich sind bemerkenswert unversehrt davongekommen – aber ich erinnere mich an die Glassplitter und das Blut. Eigentlich war ich zu klein, um mich daran erinnern zu können, aber ich tue es. In blutigen, lebendigen, verfluchten Farben erinnere ich mich daran, wie meine Mutter geblutet hat und wie mein Vater schrie und weinte und sie anflehte zu atmen.«
    Tränen strömen mir über die Wangen, und ich wische sie weg. Sekunden verrinnen, Chris bewegt sich nicht. Er liegt da, die Hand überm Gesicht, die Weinflasche in der anderen Hand. Und ich weiß, dass es nichts Richtiges gibt, was ich sagen kann – es gibt nur etwas, das ich
tun
kann.
    Ich stehe auf und ergreife seine Hand. »Komm hoch und geh ein Stück mit mir.«
    Er nimmt die Hand vom Gesicht, und ich kann die Röte in seinen Augen sehen, die Tränen, die er vor mir verborgen hat. Ich will nicht, dass er irgendetwas vor mir verbirgt. »Wohin gehen wir?«, fragt er.
    »Hinein.« Ich ziehe an seiner Hand. »Ich muss dir etwas zeigen.«
    »Im Haus?« Er bewegt sich nicht. »Aber da warst du doch noch nie.«
    »Trotzdem. Komm.«
    »In Ordnung«, stimmt er zu, und glücklicherweise hievt er sich hoch, nimmt einen kräftigen Schluck Wein und wirft die Flasche weit weg. »Zeig mir, was du mir zeigen willst.« In seinen Augen ist Neugier.
    Neugierig sein ist gut. Es ist viel besser als Schmerz.
    Wir überqueren die hügelige Wiese und halten auf die Tür zu. Chris’ muskulöser Körper ist angespannt, während er die Tür aufschließt und mir bedeutet, einzutreten.
    Die geräumige Eingangshalle ist mit steinernen Fliesen ausgelegt, und mein Blick wandert zu der Treppe auf der linken Seite. Ein hölzerne, u-förmige Galerie führt zu den Räumlichkeiten des oberen Stockwerks, und ich bewundere den unglaublichen Kronleuchter, der von der Mitte der gewölbten Decke herabhängt.
    Als Chris die Tür schließt, trete ich direkt vor ihn hin.
    »Zieh dich aus«, befehle ich.
    Ein entsetzter Ausdruck gleitet über seine Züge. »Was?«
    Ich kann mir kaum ein Lächeln verkneifen. »Jetzt klingst du wie ich.« Ich verschränke die Arme vor der Brust und versuche, so autoritär zu wirken wie er sonst immer. »Du hast mich gehört. Zieh deine Sachen aus.«
    Sein Gesichtsausdruck wird weicher, und ein Anflug von Erheiterung erhellt seine bekümmerten Augen. »Lass mich das klarstellen.« Er deutet mit dem Finger zwischen uns hin und her.
»Du
befiehlst
mir,
meine Kleider auszuziehen.«
    »Das ist richtig.«
    Er sieht mich mehrere Herzschläge lang an, dann lacht er. Er zieht mich fest an sich und murmelt mir ins Ohr: »Nach dir, Baby. So funktioniert das. Das solltest du inzwischen wissen.«
    »Mmmh«, antworte ich, und er tritt zurück, um mich anzusehen.
    »Mmmh?«
    Ich spiele mit einer widerspenstigen Strähne seines blonden Haars. »Mmmh«, wiederhole ich. »Diese Regel verstehe ich irgendwie nicht. Ich fürchte, du wirst mich übers Knie legen müssen, um mir deine Ansicht klarzumachen.«
    In seine Augen tritt Begehren, und mit einem leisen Knurren hebt er mich hoch und trägt mich in einen Raum, von dem ich annehme, dass es unser neues Schlafzimmer ist. Und dort werden wir diesen Sturm bewältigen.
    Als ich am nächsten Morgen erwache, spüre ich sofort den köstlichen Schmerz in meinem Körper. Ich lächle und strecke die Hand nach Chris aus, muss aber feststellen, dass er verschwunden ist. Bei der Erinnerung, welcher Tag heute ist, fahre ich im Bett hoch und sehe mich in dem eleganten Schlafzimmer mit den mahagonigetäfelten Wänden und teuren Möbeln aus dem gleichen Holz um. Er ist tatsächlich nicht hier. Ich greife nach meinem Handy, das neben dem Bett liegt – acht Uhr. Ich frage mich, ob er überhaupt geschlafen hat.
    Dann sehe ich einen Zettel auf dem
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