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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder
Autoren: Joanne Harris
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Laden bewundert.«
    »Es ist nicht mein Laden«, sagte Maman. »Ich arbeite nur hier.«
    Die Dame lachte wieder. »Das würde mir auch gefallen, glaube ich. Ich muss mir eigentlich einen Job suchen, und jetzt stehe ich hier und schiele nach Pralinen.«
    Maman entspannte sich und setzte Rosette kurz auf den Boden, um die Tür abzuschließen. Mit ernster Miene musterte Rosette die Dame mit den roten Schuhen. Diese lächelte ihr zu, aber Rosette erwiderte das Lächeln nicht. Bei Fremden lächelt sie eigentlich nie. Irgendwie fand ich das gut. Ich habe sie gefunden, dachte ich. Ich habe sie hier festgehalten. Sie gehört mir, jedenfalls erst mal.
    »Sie suchen einen Job?«, wiederholte Maman.
    Die Dame nickte. »Meine Mitbewohnerin ist letzten Monat ausgezogen, und von meinem Verdienst als Kellnerin kann ich unmöglich die ganze Miete für die Wohnung bezahlen. Ich heiße Zozie … Zozie de l’Alba, und ich liebe Schokolade, nebenbei bemerkt.«
    Man muss sie einfach gern haben, dachte ich. Ihre Augen waren so blau, und wenn sie lächelte, sah ihr Mund aus wie eine Wassermelonenscheibe im Sommer. Sie wurde ein bisschen ernster, als ihr Blick wieder auf die Tür fiel.
    »Mein Beileid«, murmelte sie. »Kein besonders passender Zeitpunkt, stimmt’s? Ich hoffe, es war keine nahe Verwandte.«
    Maman schüttelte den Kopf. »Madame Poussin. Sie hat hier gewohnt. Sie hätte sicher gesagt, dass sie den Laden führt, aber besonders viel hat sie nicht mehr gemacht, ehrlich gesagt.«
    Ich dachte an Madame Poussin mit ihrem Mäusespeckgesicht und den blau karierten Schürzen. Rosenpralinen mochte sie am liebsten, und sie aß viel mehr Rosenpralinen, als ihr guttat, aber Maman sagte nie etwas.
    Es war ein Schlag, sagte Maman. Ich finde, das klingt komisch, wie bei einem Spiel, wie bei Schlagball. Aber dann habe ich kapiert, dass wir Madame Poussin nie wiedersehen werden, und mir wurde ganz schwindelig, als würde ich nach unten schauen, und vor mir würde sich plötzlich ein riesiges Loch auftun.
    Ich sagte: »Doch, sie hat viel gemacht«, und fing an zu weinen. Und ehe ich mich’s versah, nahm sie mich in den Arm, und sie roch nach Lavendel und nach kostbarer Seide. Sie flüsterte mir etwas ins Ohr, einen Zauberspruch, dachte ich überrascht, wie früher, wie in Lansquenet, aber dann schaute ich auf, und es war gar nicht Maman. Es war Zozie. Ihre langen Haare berührten mein Gesicht, und ihr roter Mantel leuchtete in der Sonne.
    Hinter ihr stand Maman, in ihrem Beerdigungsmantel und mit den mitternachtsdunklen Augen, so dunkel, dass niemand, niemand sagen kann, was sie gerade denkt. Sie machte einen Schritt auf uns zu, jetzt hatte sie wieder Rosette auf dem Arm, und ich wusste, wenn ich mich nicht losmache, umarmt sie uns beide, und dann kann ich nicht mehr aufhören zu weinen, obwohl ich ihr unmöglich erklären könnte, warum, jetzt nicht und auch später nicht und schon gar nicht vor der Dame mit den Bonbonschuhen.
    Also rannte ich los, die kahle weiße Gasse hinunter, so dass ich einen Moment frei war wie der Himmel. Es tut so gut, wenn man rennt, man macht Riesenschritte, mit ausgestreckten Armen kann man ein Drachen sein, man spürt den Wind, man spürt, wie die Sonne vorausrast, und manchmal kann man sie alle fast überholen, den Wind, die Sonne und den Schatten, der einem auf den Fersen folgt.
    Mein Schatten hat einen Namen, muss man wissen. Er heißt Pantoufle. Ich hatte früher mal ein Kaninchen namens Pantoufle, sagt Maman, aber ich kann mich nicht richtig erinnern und weiß nicht mehr, ob es ein lebendiges Kaninchen war oder nurein Spielzeug. Dein unsichtbarer Freund , nennt sie ihn manchmal, aber ich bin mir fast sicher, dass Pantoufle wirklich da war, ein weicher grauer Schatten an meinen Fersen, der sich nachts zu mir ins Bett kuschelte. Ich denke immer noch gern an ihn, ich denke mir aus, dass er auf mich aufpasst, wenn ich schlafe, oder dass er mit mir rennt, um den Wind zu überholen. Manchmal spüre ich ihn, und manchmal sehe ich ihn auch jetzt noch, aber Maman sagt, das bilde ich mir nur ein, und sie mag es nicht, wenn ich über ihn rede, nicht mal im Spaß.
    In letzter Zeit macht Maman sowieso selten Witze, und sie lacht auch nicht mehr so wie früher. Vielleicht macht sie sich immer noch Sorgen wegen Rosette. Ich weiß, dass sie sich meinetwegen sorgt. Ich nehme das Leben nicht ernst genug, sagt sie. Ich habe nicht die richtige Einstellung.
    Nimmt Zozie das Leben ernst? Oh, Mann. Bestimmt nicht, würde ich
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