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Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Titel: Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
Autoren: Joanne Harris
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bis ich richtig sehen konnte. Ein großer, kahler Raum, dessen Wände irgendwann einmal weiß gestrichen waren, aber jetzt waren sie grau, mit feuchten Flecken. Auf der einen Seite eine Reihe von Geräten – Laufbänder und Crosstrainer – und auf der anderen die Gewichte. Ganz hinten zwei Türen. Die eine führte zu den Umkleidekabinen, zur Dusche und zum Vorratskeller, die andere hinaus auf den Plankenweg, der die Häuser am Fluss miteinander verbindet.
    Roux ging voraus. Inès folgte uns. Dicht hinter ihr Joséphine, während Zahra versuchte, die anderen Leute daran zu hindern, ebenfalls in das Gym zu drängen. Ich hörte noch, wie Omi draußen lauthals protestierte: »Hee, könnt ihr mich gefälligst durchlassen? Das ist ja besser als Bollywood.«
    Ich fragte Saïd: »Wo ist Karim?«
    »Er ist raus durch die Hintertür. Der Priester ist im Keller.«
    Ich schaute Roux fragend an.
    »Kümmere du dich um Reynaud«, sagte er. »Ich suche Karim.«

Samstag, 28. August, 11:45 Uhr
    Der Keller war total überschwemmt. Es stank nach Fäule, nach feuchtem Verputz und dem Fluss. Bei der dämmrigen Beleuchtung konnte man fast nichts sehen. An der entgegengesetzten Wand stand Reynaud auf einem Turm aus Kisten. Er sah aus wie ein schiffbrüchiger Seemann auf einer winzigen Insel, sein verschwommenes Gesicht ein Bild des Grauens, die Arme hatte er beschwörend erhoben.
    Als er uns erkannte, sprang er ins Wasser, das ihm bis zum Bauch ging, und ruderte mit erschöpften Bewegungen auf uns zu. Gleichzeitig versuchte er, schützend eine Hand über die Augen zu halten. Hier war ein Mann, der in einem Alptraum gefangen war und die Hoffnung, daraus zu erwachen, längst aufgegeben hatte.
    »Schnell«, krächzte er mit heiserer Stimme, sobald er die Kellertreppe erreicht hatte. Nur die obersten beiden Stufen waren noch nicht überschwemmt. Er schaffte es gerade mal bis zur Hälfte, dann stolperte er und platschte ins Wasser. Joséphine packte ihn am Arm, ich ergriff den anderen Arm, und gemeinsam zogen wir ihn vollends nach oben.
    »Schnell!«, rief er noch einmal.
    »Alles okay«, sagte ich. »Sie sind in Sicherheit.«
    Aber man sah ihm an, dass keineswegs alles okay war. Sein Gesicht mit dem Dreitagebart war totenbleich. Die Augen musste er zusammenkneifen, weil das Licht viel zu grell für ihn war, er atmete mühsam und keuchend. Ein Hustenanfall schüttelte ihn, und er krümmte sich zusammen, bis er wieder einigermaßen Luft bekam.
    »Ihr versteht nicht, was ich meine! Joséphines Junge! Das Bencharki-Mädchen!« Wieder schüttelte ihn der Husten, und er gestikulierte verzweifelt.
    »Was ist los? Was ist passiert?«
    Er nahm erneut Anlauf. Diesmal war seine Stimme etwas kräftiger. »Karim hat das Mädchen mitgenommen. Draußen in der Passage. Pilou wollte ihn aufhalten. Ich glaube, er ist verletzt.« Er fuchtelte hektisch, aber ich begriff, wohin er deutete: zu der schmalen Passage, die den Boulevard mit dem Ufer verbindet. Ich wusste genau, welchen Durchgang er meinte, denn Maya hatte uns immer erzählt, dass ihr Dschinn dort wohnt.
    Inès war schon durch die andere Tür hinausgerannt, die zu dem Plankenweg führt. Joséphine ließ kurz Reynauds Arm los, packte ihn aber wieder, als er auf die Knie fiel.
    »Francis!«
    Er wedelte ungeduldig mit der Hand. »Beeilt euch. Schnell! Kümmert euch um den Jungen!«
    Und dann hörten wir den Schrei.

Samstag, 28. August, 11:45 Uhr
    Meine Augen können das helle Licht nicht ertragen. Die nackte Glühbirne im Flur wird zur gleißenden Mittagssonne. Ich muss mich dagegen schützen, aber trotzdem habe ich das Gefühl, als würde ich ins Auge Gottes blicken. Und im Gegenlicht sehe ich drei Gestalten, umgeben von einem dreifachen Strahlenkranz.
    Ich erkenne Vianne und Joséphine. Aber wer ist die dritte Gestalt? Kann das sein – ist es Inès? Mit ihrer Aureole ist sie schwer zu erkennen, und das lange Gewand sieht aus wie gefaltete Flügel. Habe ich einen Engel gesehen? Ich würde gern an ein himmlisches Rettungsmanöver glauben, aber im Augenblick habe ich gar keine Zeit, darüber nachzudenken. Ich schaffe es immerhin, den Frauen zu erklären, was passiert ist, oder sie wenigstens darauf hinzuweisen, welche Gefahr von Karim ausgeht. Alle drei rennen los – ich kann nur hoffen, père, dass sie ihn rechtzeitig finden – und lassen mich oben an der Treppe zurück, halb im Wasser kniend.
    Ich bin am Ende meiner Kraft. Ein Teil von mir möchte nur noch sterben. Aber hier geht es um Lansquenet,
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