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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz
Autoren: Christiane Tramitz
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und verschwand in den engen Gassen.
     
    Karl und Paula befanden sich gerade in der Stube und zogen ihre schwarzen Mäntel über, als Lea eintrat.
    »Welch netter Besuch«, sagte Karl erfreut. »Wir freuen uns, dass du noch mal bei uns vorbeischaust, hab g’hört, ihr fahrt’s heute zurück.«
    Lea reichte ihm die Zeichnung. »Hab ich für dich gemalt.«
    Karl lachte sie an: »Ich dank dir recht, liebe Lea. Komm, setz dich kurz, Paula bringt dir zum Abschied noch einen Preiselbeersaft. Den magst du doch so gern.« Er legte das Bild auf den Tisch und sah es sich lange an. Sein Gesicht wurde nachdenklich. »Unglaublich«, murmelte er, »kaum zu glauben, sieh mal, Paula.«
    Paula stellte den Saft auf den Tisch. »Wirklich schön, was du gemalt hast, Lea. Aber leider haben wir nicht allzu viel Zeit für dich, denn wir müssen zur Beerdigung gehen. Oben, am Kraxnerhof ist nämlich der alte Bauer g’storben.«
    »Ich weiß«, sagte Lea. »Horst hat gesagt, ich darf auch nicht lange bleiben.«
    »Ich bin mir sicher, du besuchst uns bald wieder, liebe Lea«, sagte er und hob sie in die Luft, dass sie mit dem Kopf fast an die Decke stieß.
    »Ich wünsch euch allen eine gute Fahrt«, sagte er dann.
    Sie lächelte, schüttelte ihm die Hand und lief hinaus.
     
    Nachdem der Wagen aus seinen Augen verschwunden war, ließ sich Karl am Stubentisch nieder. Er holte seine Brille aus der Tasche und vertiefte sich in Leas Zeichnung. Paula sah, wie sich die Miene ihres Mannes verfinsterte.
    »Was ist, Karl?«, fragte sie. »Karl, hörst du mich? Wir müssen los!« Doch der konnte seinen Blick nicht von dem wenden, was dort gemalt war.
    »Fertl hatte recht, mit dem, was er g’sagt hat«, seufzte er.
    »Was meinst damit, Karl?«
    »Vor ein paar Tagen, als du unten im Tal beim Einkaufen warst, hat mich der Fertl besucht. Hör zu, Paula, du werst es net glauben, hier in Fuchsbichl ist Schicksalhaftes im Gang.«
    Dann erzählte er seiner Frau von Fertls Vermutungen, von all den Zufällen, die keine sein konnten.
    »Lea sieht die Dinge mit anderen Augen und deswegen mehr als wir«, sagte Karl schließlich, während er seinen schwarzen Mantel aus-und den Arbeitsjanker anzog. »Ich muss nachsehen, jetzt gleich, bevor er unter der Erde ist, der Urban. Bin sicher, noch weilt seine Seele hier, bei den Hinterbliebenen. Sie alle soll er sehen, wenn sie erfahren, was droben g’schehen ist, am Tremplerhof.« Er stieg in seine Bergstiefel, ging in die Kammer, packte dort eine Taschenlampe, Axt, Pickel in den Rucksack und band sich ein großes Seil um. »Ich geh ihn holen, den Bub«, sagte er und machte sich auf den Weg.
     
    Als Karl am Hof des Kraxnerbauern vorbeikam, hatten sie beim Toten gerade zwei Kerzen entzündet: eine zu seinem Haupt, eine zu seinem Fuß. Dann nahmen sie Platz, die Fuchsbichler, die wenigen, die Urban noch erlebt hatten bei all seiner Leibhaftigkeit. Alle waren sie zugegen, die Zwillinge und Cilli, die der Agnes zärtlich ein schwarzes Tuch über das bunte Dirndl gelegt hatte, Robert, der schon lange nicht mehr fassen konnte, was mit Urban geschehen war, die Fenders, die sich über die Abwesenheit ihres Sohnes Karl ärgerten, Paula, die ihn entschuldigte, Josefa, deren Hände den Leichnam gewaschen hatten, die Knechte, die bange auf ihren neuen Herrn blickten, auf Vinzenz, der mit zornigem Blick auf des Toten Janker starrte.
    Sie alle falteten die Hände und senkten die Köpfe, als Fertl die Stimme erhob:
     
    Denn als ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Klagen. Denn deine Hand lag Tag und Nacht schwer auf mir, dass mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird.
    Meine Tage sind vergangen wie ein Rauch, und meine Gebeine sind verbrannt wie von Feuer. Mein Herz ist geschlagen und verdorrt wie Gras, dass ich sogar vergesse, mein Brot zu essen.
     
    Mit schweren Axthieben schlug Karl auf das Gebüsch ein, das den Weg versperrte, den so lange keiner mehr gegangen war. Gebückt kroch er durchs Dickicht, bahnte sich den Pfad mit Kraft und Geschick. Er kletterte über Wurzelgeflechte, Stämme und umgestürzte Bäume, bis sich die Felswand vor ihm auftat. Die Brücke von einst lag verrottet am Schluchtengrund. Karl schlug die Eisen in den Stein und zog sich Meter für Meter in die Höhe. Schwarze Vögel ließen sich vom Winde treiben und begleiteten ihn wie dunkle Schatten. Schließlich erreichte er den tobenden Gaissbach. Flinken Fußes sprang Karl von Stein zu Stein –
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