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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz
Autoren: Christiane Tramitz
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ihr langsam entzog und in der Tiefe des Bodens verschwand.
    Isabel öffnete die Augen. Sie warf einen letzten Blick auf den Umschlag. Dann öffnete sie die Tür und ging.
    Langsam, mit schwachen Schritten schlich sie die Gasse hoch zum Hotel.
    »Meine Kleine, was machst du hier? Wo ist Horst?«, fragte sie Lea.
    »Er holt das Auto. Wir haben alles fertig gepackt«, antwortete Lea.
    »Ah, gut, dann ward ihr ja so richtig fleißig.«
    Isabel setzte sich neben ihr Kind auf Horsts großen Lederkoffer.
    »Hast du wieder etwas Schönes gemalt? Darf ich es sehen?«
    Lea nickte und schob das Bild Isabel auf die Knie.
    Es zeigte, wie immer, den Himmelsspitz. Ein großer Teil war mit einem dichten Wald bedeckt, aus dem allerlei Tiere hervorlugten. Rehe, Hasen, Füchse, Frösche und bunte Vögel. Vom unteren Bildrand bis fast oben zum Gipfel des Berges führte wieder der schmale Pfad, nur endete er dieses Mal an einem schiefen, andeutungsweise skizzierten Haus, an dem sich ein großer Fleck befand, so, als habe dort jemand Tinte verschüttet. Neben dem Haus stand ein kleiner Junge und winkte.
    Auf dem Pfad spazierte eine schwarze Katze, aufrecht, auf den Hintertatzen, Pfote in Hand mit einem kleinen Mädchen.
    »Wie schön du malen kannst«, sagte Isabel zärtlich. Das kleine Mädchen hier, bist du das?«
    Lea nickte.
    »Und das neben dir ist der Kater, hab ich recht?«
    »Ja.«
    »Ihr geht zusammen auf den Himmelsspitz?«
    »Ja«, flüsterte Lea.
    »Was ist denn das für ein schwarzer Fleck an dem Haus? Und wer ist der Junge?«
    Doch bevor Lea antworten konnte, war Horst schon mit dem Wagen vorgefahren. Er stieg aus, der Portier verstaute das Gepäck im Kofferraum und wünschte eine gute Fahrt.
    »Einsteigen, meine Damen, zicke zacke!«, sagte Horst.
    Als sie am Haus vom Ruckkorb Karl vorbeifuhren, bat Isabel, Horst möge kurz anhalten. »Lea will Karl noch das Bild schenken.«
    Horst hielt an und schaltete den Motor aus: »Aber schnell, hörst du, du lässt uns hier nicht zu lange warten!«
    Lea hüpfte aus dem Auto und lief ins Haus.
    Während der ersten Minuten, in denen Isabel und Horst im Kapitän warteten, schwiegen sie. Hin und wieder sah Horst Isabel von der Seite an, als würde er darauf warten, dass sie das Schweigen durchbreche. Doch die starrte reglos durch die Windschutzscheibe. Auf ihrer Stirn glänzten feine Schweißperlen.
    »Schade um die Zeit«, unterbrach Horst schließlich die Stille. »Wirklich schade. Lass uns doch mal zusammenfassen, was uns diese Ferien hier am Ende der Welt gebracht haben: unangenehmes Wetter, die meisten Tage zumindest, mal zu schwül, mal zu nass. Prima. Meine Gefährtin ging ihre eigenen Wege, war kaum anwesend, ebenso wie das Kind. Hat sich nur bei den Eingeborenen hier herumgetrieben.«
    »Horst, bitte hör auf«, sagte Isabel.
    »Im Ernst, eines muss doch mal ganz deutlich gesagt werden. Die Fahrt hierher war vergebens. Oder hast du bei dem Kind irgendeine Verbesserung festgestellt?«
    Er stupste Isabel mit dem Ellbogen an. »Sag, Schatz, eine winzige Verbesserung? Nichts haben die Berge bewirkt. Gar nichts. Das werde ich auch höchstpersönlich Herrn Henning mitteilen. Nie mehr möchte ich auch nur ein einziges Wort über diesen verdammten Berg hören. Wenn wir zurück sind, werde ich die Karte eigenhändig aus dem Fotoalbum entfernen. Vielleicht hören dann die Marotten deiner Tochter endlich auf.«
    »Willst du mir nun die ganze Fahrt über Vorwürfe machen?«, fragte Isabel wütend.
    »Habe ich etwa keinen Anlass dazu?«
    Sie begannen sich zu streiten. Horst wollte einmal mehr wissen, warum diese Karte immer noch im Album klebte. Isabel beteuerte, wie stets, diese sei ein Andenken an einen alten Schulfreund und sie dächte nicht daran, sie fortzuwerfen. Dann plädierte Horst zum wiederholten Mal, nun aber mit strengerer Stimme, dafür, Lea endlich in eine Klinik zu schicken, damit man das merkwürdige Gebaren eingehend untersuchen könne.
    »Und überhaupt, mein Liebling, wenn wir erst einmal verheiratet sind, wirst sehen, dann wird alles besser. Denn Lea hat dann endlich einen richtigen Vater.«
    »Ja, dann hat sie endlich einen richtigen Vater«, monoton wiederholte Isabel seine Worte, dabei traten Tränen in ihre Augen.
    Horst klopfte nervös auf das Lenkrad. »Wo bleibt sie nur?«
    Dann wurde es wieder still im Kapitän.
    Plötzlich öffnete Isabel die Wagentür und stieg aus. »Ich bin in fünf Minuten zurück. Ich fürchte, ich habe etwas vergessen«, sagte sie knapp
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