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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz
Autoren: Christiane Tramitz
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schleichst dich hier so an? Wieso trägst keine Trauer?«, herrschte er sie dann an.
    »Meinst, ich will, dass mein Tobi mich in Trauer sieht, wenn er doch heut Geburtstag feiert mit uns? In Freud soll er mich sehn, nicht in Leid.«
    Vinzenz packte sie an den Schultern und schüttelte sie hin und her. »Weib, verstehst endlich, dass er nimmer kimmt? Tot ist er, tot! Kein Geburtstag, sondern Todestag. Vor allem aber trauern wir um deinen Vater. Verstehst? Urban Kraxner ist g’storbn! Drunten in der Stube liegt er und wartet, dass er fertig g’macht werd für den Sarg.«
    Agnes sah ihn schweigend an, ein Lächeln huschte über ihr schmales Gesicht. »Ja, zuerst betten wir den Vater schön, dann mach ich mich auf den Weg zum Bubn, ihm die Blumen bringen, ich geh zu ihm, weil der Vater mich hier nimmer braucht. Und jetzt, Vinzenz, jetzt gib her, den Janker.«
    »Mein Gott, Weib, narrisch bist g’wordn, hast kein Verstand mehr.«
    »Den Janker, gib ihn mir, Vinzenz«, wiederholte Agnes leise.
    Langsam zog er die Jacke aus und reichte sie ihr. Soll sie doch glücklich werden, dachte er grimmig, soll sie doch den alten Kraxner kleiden wie sie will, soll sie doch dann gehen zu ihrem Buben, weit fort, und nicht mehr wiederkommen. Ist eh ein Leid, sie so zu sehen, in ihrem Wahn. »Vergelts Gott, Vinzenz«, sagte Agnes. »Jetzt werd der Vater herg’richt, für den letzten Gang, wohin der auch führen mag.« Sie lächelte und fügte hinzu: »Muttergottes will’s mir net verraten!«
    Behutsam nahm sie den Janker, hängte ihn auf einen Bügel und ging hinunter zur Stube, wo er auf dem Tisch ruhte. Ihr Vater, der tote Kraxnerbauer, nackt, denn Josefa hatte ihn inzwischen entkleidet. Zum ersten Mal sah Agnes ihn entblößt. Sein Körper ließ sie erschrecken, blutleer, nur noch aus Haut und Knochen bestehend. Augen und Mund standen weit geöffnet, von der Totenstarre befallen. Urban sah aus, als hätte er Schreckliches gesehen, als der Sensenmann ihn holte.
    Josefa, die Magd, die Urban so oft gescholten und in den Brunnen geworfen hatte, weil sie ihm nicht gut genug gerochen hatte, hielt sich die Hand vor die Nase. »Puh«, sagte sie und wedelte mit dem Handtuch über den toten Körper, um all die vielen Fliegen zu vertreiben, die sich dort niedergelassen hatten und mit langen Rüsseln abtupften, was es zu tupfen gab. Die Magd hatte Tränen in den Augen, so sehr kämpfte sie gegen die Übelkeit, die sein Anblick und sein Geruch in ihr aufkommen ließen.
    »Puh, Agnes, schau net so, des war nicht immer so klein. Glaub mir, ich weiß des. Und jetzt bitte, gibst mir das Wasser und die Seif.«
    Agnes löste ihren Blick vom väterlichen Glied, das wie eine kleine Erbse zwischen Bein und Stumpf lag, und reichte ihr das warme Wasser. Josefa begann, dem Toten den Geruch des langen Siechtums abzuwaschen, rieb und rubbelte, dass die dünne Haut an manchen Stellen aufplatzte. Anschließend schnitt sie Bart, Haare, Finger-und Fußnägel und versuchte ein paar Mal vergebens, den gesperrten Kiefer zurückzudrücken, um ihrem einstigen Herrn ein menschenwürdigeres Aussehen zu verleihen.
    Sie arbeitete still und schnell, als hätte sie in ihrem Leben nichts anderes getan, als Tote für das Begräbnis vorzubereiten, während Agnes bewegungslos am Kopfende ihres Vaters stand.
    »Vater, heut hat der Tobi Geburtstag«, sagte sie lächelnd.
    »Ja ja, das werd ihn jetzt besonders interessieren!«, meinte Josefa daraufhin.
    »Oh ja, er hört mich, denn sein Geist ist noch hier, ich spür das«, antwortete Agnes.
    »Natürlich, er ist noch hier, sein Geist. Wahrscheinlich drüben«, die Magd wies auf die Stubenvitrine. »Da am Schnapsregal, und gönnt sich ein Schlückchen, während ich mich hier mit seinem Rest abmüh, ihn wieder fesch mach für all die letzten Besuche.«
    Josefa begann Urban einzukleiden. »Mit oder ohne Holzbein?«, fragte sie. Doch Agnes antwortete nicht. Sie war inzwischen zum Fenster gegangen und stierte hinaus. Geistesabwesend, lächelnd.
    »Na gut, dann mit, ich glaub, er hätt’s so lieber«, sprach Josefa zu sich selbst, packte das Bein, das unter dem Tisch lag, und bemühte sich, es am Rumpf des Toten anzuschnallen. Weil ihr dies nicht so recht gelingen wollte, stopfte sie das Holz einfach durch das Hosenbein und legte es vor dem Stumpfen auf den Tisch. »Müssen nachher aufpassen, wenn wir ihn in den Sarg legen, dass net alles verrutscht«, sagte sie.
    Als sie Urban schließlich auch noch den Janker übergezogen hatte
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