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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz
Autoren: Christiane Tramitz
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hatte sich für den Umfang als zu klein erwiesen. Isabel hielt in ihren Bewegungen kurz inne. Was für ein unansehnlicher Körper, den sie zu begehren versuchte, weil der Mann für etwas stand, wonach sie sich gesehnt hatte. Doch nahm sie jetzt Abschied von ihm, denn es war an der Zeit.
    Vor einer Stunde hatte sie dies beschlossen, kurz nachdem Lea mit dem toten Kater in ihr Zimmer gekommen war und bei Horst ein Toben auslöste, wie Isabel es bei ihm noch nie erlebt hatte.
    »Was ist mit dem Tier?«, hatte er gebrüllt.
    »Kater ist auf den Himmelsspitz gegangen«, antwortete das Kind.
    »Ach ja, auf diesen verdammten Berg. Und da tanzt er dann wohl zusammen mit den anderen Toten? Mit dem Köter vielleicht?«
    Lea erwiderte nichts.
    »Komm, meine Liebe«, versuchte Isabel zu besänftigen und wollte Lea das Tier abnehmen, »wir bringen den armen Kater dem Fertl zurück. Er wird ihn sicher begraben wollen.«
    Da packte Horst das Tier am Schwanz und schleuderte es ins Freie hinaus über die Brüstung. Es tat einen dumpfen Knall, als der Kater unten aufschlug. Dann war Horst im Badezimmer verschwunden, um sich die Hände zu waschen.
    »Hört denn dieser Glockenkrach endlich mal auf?«, schimpfte Horst aus dem Badezimmer. »Das Landleben kann schon nervtötend sein!«
    »Ach Horst«, seufzte Isabel still in sich hinein.
    Als sie später alle zusammen bei ihrem letzten gemeinsamen Frühstück im Hotel Himmelsspitz saßen, kamen die Zwillinge mit ihrer Mutter Cilli an den Tisch. Sie waren dunkel gekleidet. Cilli gestikulierte, Hanni und Magda übersetzten: »Wir wollen uns jetzt schon von Ihnen verabschieden. Ein Todesfall im Ort. Der Bauer von dem Hof dort ist in der Nacht verschieden. Wir müssen gleich zum Längebeten, dem Toten beim Beten die letzte Ehre erweisen. Schade, dass Sie uns schon etwas früher als geplant verlassen, aber vielleicht kommen Sie uns ja irgendwann wieder besuchen?«
    Horst nickte. »Ist durchaus denkbar«, sagte er. Isabel lächelte und Lea blickte auf ihre Hände.
    »Mach’s gut, liebe Lea«, sagten die Zwillinge und fuhren ihr über das Haar. Sie wünschten noch eine schöne Heimreise und gingen. »Todesfall, tja, so einen hatten wir auch, auf dem Balkon, was Lea?« Er klopfte auf den Tisch und meinte: »Los geht’s, wir brechen auch auf. Zicke zacke!«
    »Geht schon mal vor, ich komme gleich nach, ich möchte Lea nur noch schnell ihren kleinen Himmelsspitz besorgen, den ich ihr versprochen habe«, sagte Isabel und lächelte ihrem Kind zu. »Mein Schatz, pack doch schon mal deine Sachen zusammen.«
    Lea ging nach oben und holte ihren kleinen Koffer unter dem Bett hervor. Darin verstaute sie ihr Tierlexikon, die Zeichnungen, Moos, ein paar Steine, eine schwarze Feder und ein Stückchen Holz, das aussah wie eine Echse. Dann ging sie auf den Balkon, um nach Luis zu sehen. Wenigstens aus der Ferne wollte sie sich von ihm verabschieden.
    Doch sein toter Körper war spurlos verschwunden.
    Ein letztes Mal blickte Lea zum Himmelsspitz, ließ ihre Blicke vom Gipfel die Felsen, Almwiesen und Wälder entlang bis hinunter zum Weiler gleiten.
    Hinten, auf der Wiese vor dem großen Bauernhof, sah Lea, wie eine Frau Gräser rupfte. Es war die schwarze Frau. Ihr buntes Kleid leuchtete im matten Grün der Wiese.
     
    Fertls Werkstatt war leer. Die Fenster waren geschlossen, die Lampe gelöscht. Auf dem Ofen standen weder Haferl noch Kanne. Das Regal, aus dem alle Figuren und Himmelsspitze entfernt worden waren, stand in der Mitte des Raums. In der Holzwand dahinter fehlte ein Brett, sodass sich dort ein Loch auftat.
    Die Schnitzmesser lagen in einer Schachtel auf dem Boden. Der Hocker stand umgekehrt auf dem Tisch. Der Boden war blitzblank gefegt.
    Isabel legte den toten Kater auf den Tisch und öffnete die Schublade. Auch sie war leer, alle Briefe, Zeichnungen und Gedichte waren verschwunden.
    Isabel nahm das Tier in den Arm und eilte hinüber zu Fertls Wohnhaus, vielleicht war er dort anzutreffen. Tatsächlich, die Haustür war nur angelehnt.
    »Fertl«, rief Isabel, »Fertl, bist du da?«
    Weil niemand antwortete, betrat sie den Hausgang und öffnete zaghaft die Tür zur Stube. Fertl saß im schwarzen Anzug am Tisch, vor ihm lagen ein Stück Papier und eine aufgeschlagene Bibel.
    »Fertl, entschuldige, ich wollte hier nicht eindringen und stören, aber ich habe laut gerufen, ich dacht …«
    Rasselndes Husten unterbrach sie. Fertl fuhr sich mit dem Taschentuch über den Mund und sagte: »Immer kannst zu
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