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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz
Autoren: Christiane Tramitz
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kämpfend, Isabel in abgrundtiefen Gedanken versunken. Lea, die kurz hinter Nürnberg erwacht war, blätterte still in ihrem Tierlexikon, auch dann noch, als der Kapitän schließlich in die Nacht eintauchte und es noch finsterer wurde in seinem Innenraum. Das Mädchen strich über die Seiten, als könnte sie mit ihren Fingern sehen. »Mein Schatz, geht es dir gut?«, fragte Isabel.
    Das Kind nickte. »Ja, es geht mir gut.« Inzwischen befanden sie sich vor den Toren Münchens, was Horst in ausnehmend gute Laune versetzte. Er freute sich auf das Abendessen. »Vom Allerfeinsten, mein Goldschatz, vom Allerfeinsten. Ich kenne die Küche vom Vierjahreszeiten gut. Da haben wir öfter unsere Geschäftsessen. Isabel, Isabel, mein Goldschatz, du sagst seit über einer Stunde kein Wort. Hast du mir überhaupt zugehört? Wir nächtigen in einem der besten Hotels Münchens. Meine Goldstücke«, er wandte sich zuerst zu Isabel, dann zu Lea, »genießt das Essen, genießt das Bett, denn ab morgen beginnt das raue Landleben. Am Ende der Welt.«
    Dann lachte er schallend.
     
    Fuchsbichl, Vierzigerjahre
     
    Alles begann an einem eigentlich fröhlichen Tag, am Tag des Schützenfests.
     
    Es geschah hoch oben in der Bergwelt, in einem Weiler, der sich Fuchsbichl nennt und damals aus nur acht Höfen bestand. Zur Geistlichkeit, zum Doktor, zur Schule, zum Telefon, zu wichtigen Lebensmitteln wie Zucker, Salz und Getreide verband die Dorfbewohner nichts als ein Pfad.
    Unten, vom Tal aus führte er zunächst steil nach oben durch einen dichten Wald, dann kam eine ebene Lichtung, in deren Mitte eine Bank stand, für die Alten und Kleinen zur Rast, wenn sie sonntags in die Kirche gingen. Daneben hatte man ein Marterl aufgestellt, an dem eine blecherne Vase mit frischen Alpenrosen befestigt war sowie eine Tafel, auf der stand:
     

Hier wurden vom Dunder derschlagen
    Drei Schaf, a Kalb und a Bua
    Herr, gib ihnen die ewige Ruah.
     
    Der Pfad stieg wieder an, man verließ den weichen Boden und kletterte über glitschige Steinstufen weiter nach oben. Nach der Linkskurve vernahm man den Wolfsbach. Zuerst ein entferntes Rauschen, dann ein Poltern, und wenn man zur Brücke kam, hörte man sein eigenes Atmen nicht mehr, denn es verschwand im Tosen der schäumenden Wassermassen.
    Hinter dem Bach erinnerte eine Pestsäule an noch schwerere Zeiten, als es die gegenwärtigen ohnehin waren.
    Es ging die feuchte Wolfsschlucht entlang, von deren Felsen das Wasser in langen, gläsernen Fäden tropfte, die sich in der Tiefe zu einem durchsichtigen Vorhang knüpften. Es roch nach Moos.
    Hinter der nächsten Biegung war Stille. Der Lärchenwald kündigte die Nähe des Weilers an. Sobald sich die Zweige lichteten, sah man Bergwiesen. Am Waldesrand konnte man sich auf eine Bank setzen, die zweite auf dem Pfad, denn man war inzwischen eine Stunde unterwegs.
    Fast jeder der seltenen Wandersleute nahm auf ihr Platz, denn der Anblick, der sich ihnen bot, war berauschend. Sanftheit inmitten der schroffen Bergwelt. Umgeben von schneebedeckten Gipfeln, an denen weiße Wolken wie Sahnehäubchen hingen, lag der Weiler in einem hügeligen Hochtal. Von der Ferne wirkte der Ort schlafend, so, als hätte die Zeit ihn vergessen. Seit Langem. Die Vergangenheit hatte die Gegenwart im Griff, und niemand glaubte, die Zukunft würde anderes versprechen. Und würde aus den Kaminen kein Rauch aufsteigen, hielte man das alles für das Gemälde eines liebestrunkenen Malers.
    Von Weitem wirkten die Höfe wie hölzerne Spielzeughäuser, zerbrechlich und schief. Ihre Dächer waren mit Schindeln gedeckt, an den Wänden lag Holz geschichtet, darüber hingen Rechen, Sensen, Heustangen und Körbe. Vor jedem Haus, eingezäunt von Holzpfählen, hatte man Gemüsebeete angelegt. Es wuchsen Bohnen, Salat, Schnittlauch, Petersilie und allerlei Heilkräuter wie Salbei, Wermut, Baldrian und Ringelblumen. Die Kartoffeläcker und kleine Getreidefelder lagen hinter den Häusern. Die Stallungen befanden sich auf der Bergseite. Von ihnen aus führten eingezäunte Wege durch die Wiesen hoch in den Bergwald.
     
    Das erste Haus gehörte dem Oswin Kneisl. Es wirkte etwas heruntergekommen, auf dem Balkonboden fehlten ein paar Bretter, einige Fensterläden hingen schief in ihren Angeln. Im mittleren Fenster des oberen Stockwerks war eine Scheibe zerbrochen. An der verwitterten Hauswand konnte man ein paar Heilige erkennen, die vor allerlei Gefahren schützen sollten.
    Im Stall standen nur noch zwei Kühe,
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