Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelsmechanik (German Edition)

Himmelsmechanik (German Edition)

Titel: Himmelsmechanik (German Edition)
Autoren: Maurizio Maggiani
Vom Netzwerk:
und versuchte alles in den unter dem Nussbaum geöffneten Koffer zu stecken; der Koffer verbreitete bis ins Haus hinein einen Geruch nach Blutwurst.
    Alle beide sagen, es sei alles gelaufen, wie es laufen sollte, sogar noch besser, und dann werden sie erzählen, wenn sie bereit sind, denn jetzt hat jeder für sich anderes zu tun. Der Omo Nudo, um den Anfang zu machen, muss seine Schweine wieder unter seine Vaterschaft bringen und sie aus dem mageren Zustand herausholen, in den sie während seiner Abwesenheit gefallen sind. Nita muss noch gebären; übrigens hatte sie gesagt, das würde an Mariä Himmelfahrt geschehen, und keine Stunde früher.
    Der Sonntag der Rückkehr war der letzte Tag der großen Hitze; schon am Nachmittag hörte man es auf den Panie donnern, und in der Nacht verflüchtigte sich die weißliche Hitze-Patina um den Mond herum. Der Brei der Schwüle, der die frischen Lüfte vom Norden von der Ebene fern hielt, löste sich auf, und so gingen wir abends hinaus, und vom Luftzug des Apennin stellten sich uns die Haare auf. An diesen Abenden steigt Venus sofort nach dem Sonnenuntergang über der Pania auf und nähert sich gegen Mitternacht senkrecht zur Roccandagia dem Vollmond, und beide Lichter zusammen sind so lebendig und präsent, dass uns die Lust packt, auf die Gipfel zu steigen, um unser heimatliches Tal zu genießen, das sich von seiner fruchtbaren Saison erholt, fein gemasert von ihrem Schimmer und der leichten Dunkelheit, die ringsum ausfranst. Fast wie in einem Traum, mitten in der Nacht hier zu sein und zu sagen: Ich bin hier, und ich stamme von diesem Ganzen.
    Und es erfasst uns Sehnsucht nach dem, was wir sind, Zärtlichkeit für unsere fragile Konsistenz von Verbannten, Zorn auf die Gunst, die die Welt jenseits der Pässe uns nie hat gewähren wollen. Jene Pässe, die uns in diesen Stunden sanften Sternenlichts so nahe erscheinen, so leicht zu überschreiten. Und so rücken wir dicht aneinander und reden leise miteinander über das, was dieses Ganze sein sollte; und wir denken uns eine Zukunft aus, planen Kühnheiten, die uns das Herz verwirren. Und es sind Geständnisse, die sich zwischen uns in der Nacht auflösen wie das Gemurmel eines Märchens, das man schon halb eingeschlafenen Kindern erzählt; schon anderswo in ihren Träumen und noch hier, um aus halb geschlossenen Lidern das Land zu beäugen, dass die Hexer nie zur Beute hatten, außer für einen Moment. Den Moment, an den wir uns nicht erinnern mögen, doch in diesen Nächten hören wir sie noch einmal deutlich auf uns zukommen unter den fernen Blitzen im Meer, aus den Stürmen unten im Golfo dei Leoni, die bekräftigen, wie die Zeit gegen Ende des Sommers zerbricht.
    Neulich nachts wollte Nita mit mir auf die Verrucole kommen; beim Hinaufsteigen hatte sie etwas Atemnot und verströmte Milch aus ihrem T-Shirt und roch, als wäre es bald soweit, derselbe intime Geruch nach Schleim und Klee wie bei den Kühen, wenn sie sich hinlegen und zum Kalben bereit machen. Wir standen fast die ganze Nacht an der mit Zinnen versehenen Brüstung, die sich der Statthalter Ariost auf dem Gipfel der Festung hatte bauen lassen, um sich das gesamte Gebiet seines Gouvernements anschauen zu können. Dieser große Mann ließ seinem Herren aus Este ausrichten, ihm genüge nicht einmal diese mächtige Festung, damit er sich vor dem sicher fühlte, was er da unten sah; er argwöhnte Mörder, enthüllte Komplotte, diagnostizierte Revolten, verfocht eine Übersiedlung an einen anderen, behaglicheren Ort. Und das alles, weil er hier bei uns keine Ruhe für seine Gedichte fand. Weil er die Kastanienpolenta nicht mochte, die
ossetti
nicht verdauen konnte, weil er es verabscheute, die Schluchten hinabzusteigen und die Berge hinaufzuklettern, und durch die Wälder zu gehen, versetzte ihn in Schrecken.
    Für die Gelegenheit nahm Nita sich das Buch des Statthalters mit; dabei ist es ganz schön schwer, denn es ist das, was wir von der Duse geerbt haben. Der
Orlando
im Quartband, die Sonzogno-Volksausgabe aus dem Jahr 1894; das Buch, das durch die Hände von drei Generationen ihrer Schüler gegangen ist, das sie mir an den Samstagabenden in den Wintern meiner Kindheit vorlas. Nita hielt es für angemessen, ein wenig davon unter dem Mond vorzulesen; es laut für mich zu lesen, für die Ungeborene, für unser Land. So deklamierte sie die berühmte Episode vom Wahnsinn des Paladin. Und wir erinnerten uns zum x-ten Mal, dass wir die da sind, die treulosen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher