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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern
Autoren: Jennifer Benkau
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Der Geruch von gebratenem Speck machte mich schwindelig, aber Marlons Nervosität, der gehetzte Schatten über seinen Augen, war schlimmer als ein Loch im Bauch. »Eigentlich nicht. Lass uns einfach nur von hier verschwinden.«
    Er widersprach nicht, zapfte im Vorraum einen Becher Kaffee für sich und eine heiße Schokolade für mich und fuhr zum nächsten Rastplatz, wo er weitab von allen anderen Autos anhielt. Wir hörten Schlagermusik, weil das Radio nur einen einzigen Sender ohne Rauschen empfing, tranken unsere Becher leer und ich musste kichern, weil mein Magen knurrte, was ich als recht verräterisch empfand. Marlon grinste gequält und presste sich die Hand auf die Rippen.
    Â»Schaffst du es so überhaupt?«, platzte es aus mir heraus. »Ich bin kein Arzt, ich habe ja nicht einmal einen blöden Erste-Hilfe-Kurs gemacht, aber ich würde vermuten, dass mindestens eine Rippe gebrochen ist. Kannst du dich so verwandeln und übers Meer fliegen?«
    Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Vielleicht hoffte ich, seine Verletzungen würden Marlon zwingen, länger bei mir zu bleiben. Egoistisch? Aber hallo! Es war klar, dass ihm kein weiteres Jahr blieb.
    Â»Das wird heilen, wenn die Metamorphose einsetzt«, sagte er und ich musste gegen den Drang ankämpfen, mir die Ohren zuzuhalten.
    Â»Es gibt da etwas, das ich dir noch nicht über mich erzählt habe, Marlon.« Ich starrte nach draußen. Der Tag hatte beschlossen, diesig zu bleiben. Trübes Licht, das keine Schatten warf, umnebelte meine Stimmung. »Ich kann nicht loslassen. Ich mag mich von nichts trennen, selbst von den kaputten Sachen nicht. Dominic sagt, ich bin ein Messie.«
    Â»Schau mich mal an, Magpie.« Ich tat es zögernd. Er erwiderte meinen Blick sehr ernst, musterte mich auf diese Weise, die mich immer ein wenig erschöpfte. »Sehe ich aus, als könnte ich fliegen? Ganz sicher nicht. Ich werde es trotzdem tun. Und du kannst das akzeptieren, das weiß ich.«
    Â»Weil uns nichts anderes übrig bleibt.«
    Â»Nein. Weil wir über uns hinauswachsen und Dinge schaffen, die vorher unmöglich waren. Das ist typisch für uns. Das ist … menschlich.«
    Ich stimmte ihm wortlos durch ein Nicken zu, rang mir einen entschlossenen Gesichtsausdruck ab, fragte mich jedoch im Stillen, wo die Grenzen dieser Regel liegen mochten, die er für uns beide abgesteckt hatte und die ich im Gegensatz zu ihm nicht kannte. Das Ergebnis meiner Überlegungen war so einfach, wie es schwer hinzunehmen war. Ich würde erfahren, ob ich loslassen konnte. Noch heute Nacht.
    Zeit totschlagen ist ein unsinniger Ausdruck. In Wahrheit schlägt man sich selbst, denn die Zeit wird nur stärker durch die Versuche, sie zu bekämpfen, sie gewinnt an Macht und an Bedrohung.
    Wir redeten über alles, was wir uns noch nicht erzählt hatten. Marlons ersten Kuss in der Grundschule. Meinen letzten unglücklichen Verehrer. Marlons Vorliebe für Himbeeren und meine Abneigung gegenüber Diät-Lebensmitteln. Wir sprachen über die Musik seines Bruders und den köstlich süßen Milchgeruch meines Bruders. Ich erfuhr, dass er Keira Knightley sexy fand, und weil mir das nicht passte, ließ ich ihn wissen, dass mir Zac Efron gefiel. Gut, das war mit fünfzehn gewesen, aber was soll’s? Er fand das albern, doch ich durchschaute ihn. Er war eifersüchtig – und das war gut so.
    Je älter der Tag wurde, desto kindischer verhielten wir uns. Wir lästerten und spotteten über die Welt, unsere Worte wurden kantig und spitz, doch die Waffe war und blieb stumpf. Der Samstag näherte sich dem Abend und es gab nichts, was wir dagegen hätten tun können. Marlon fuhr weiter, genauso wie zuvor, ohne erkennbaren Plan. Doch ich erkannte schaudernd, dass er nun die Schilder las. Als er an einer Tankstelle hielt, glaubte ich hinter Öl, Benzin und Abgasen bereits das Salz des Meeres zu riechen. Es ließ meine Augen brennen.
    Marlon blieb lange im Kassenhäuschen, viel zu lange, denn außer uns waren keine weiteren Kunden da. Ich folgte ihm und sah ihn durch eine spiegelnde Scheibe in ein Münztelefon sprechen. Vermutlich verabschiedete er sich. Ich wusste nicht, von wem, nur, dass es ihm schwerfiel. Er stützte sich an der Wand neben dem Apparat ab und hielt die Augen geschlossen, als würde es ihn nicht kümmern, dass jederzeit einer der Jäger um die Ecke
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