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Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Titel: Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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ihn kenne, hat er überhaupt keine Lust, Krieg zu spielen.«
    »Und wenn der Krieg über Jahre geht?«
    Nun sprach auch Ferdinand beruhigend auf seine Nichte ein. »Reg dich nicht auf, Aglaia. Hohenlohe deutete schon an, dass es Krieg geben könnte. Aber er ist sicher, dass er nicht lange dauern wird.«
    Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingens Prophezeiung sollte sich bewahrheiten. Bereits nach einem halben Jahr hatte Preußen Frankreich vernichtend geschlagen, und am 18 . Januar 1871 wurde König Wilhelm I in Versailles zum deutschen Kaiser gekrönt.
    Kurz darauf kam die Nachricht von Wilhelmines Ableben. Die Leiterin des Stifts schrieb an Aglaia, ihre Mutter sei ihrem schweren Herzleiden erlegen. Sie hätte verfügt, in Badenweiler bestattet zu werden. Ihr verbliebenes Hab und Gut habe sie ihrer Zofe Gerda vermacht, die ihr bis zur letzten Stunde treu gedient habe. Aglaia verspürte keine Trauer.

Sommer 1873

    A lexander und Franz hatten sich zur großen Erleichterung ihrer Mütter nicht zum Kriegsdienst gemeldet und waren inzwischen mit ihrem Studium fertig. Beide hatten bereits ihre Stellung angetreten. Franz war von Clemens auf Wallerstein als Inspektor und Forstverwalter eingestellt worden, und Alexander übernahm, zusammen mit dem alten Plenzrat, die Verwaltung von Linderwies. Schernuppen war weit unter Preis verkauft worden. Der Erlös reichte nicht im Entferntesten, um die entstandenen Schulden zu tilgen. Im Gegenteil, die Missernten der letzten Jahre hatten Jesko gezwungen, neue Hypotheken aufzunehmen, nicht nur auf Linderwies, sondern auch auf Birkenau. Die Sorgen hatten ihn sichtlich altern lassen.
    Heute war seit langem wieder ein Tag, an dem er heiter gestimmt war. Das milde Wetter im April und Mai, dann warme Tage im Juni und Juli, unterbrochen von kurzen, heftigen Gewitterregen, ließen dieses Jahr endlich auf eine gute Ernte hoffen.
    Jesko und Ferdinand saßen mit Alexander auf der Terrasse, und Elvira schnitt für Aglaias Geburtstag Rosen. In einer Stunde wollte man nach Wallerstein fahren, um zu gratulieren und dort das Mittagessen einzunehmen.
    »Richtiges Gedeihwetter haben wir heute«, sagte Jesko gut gelaunt. »Was meinst du, Jungchen, schaffen wir es in diesem Jahr, aus dem Schuldenpott rauszukommen?«
    Alexander machte ein bedenkliches Gesicht. »Ich fürchte, ich kann deinen Optimismus nicht teilen, Großpapa. Wenn die Bank uns nicht noch einmal einen größeren Kredit gewährt, weiß ich nicht, wie wir es schaffen sollen. Ich habe hin- und hergerechnet und sogar versucht, ein Stück Wald zu verkaufen. Aber die Zeiten sind schlecht. Der Preis, den man mir geboten hat, war inakzeptabel.«
    Jesko sah seinen Enkel entsetzt an. »Ich wusste nicht, dass es so schlecht steht. Ist das die Schuld von Plenzrat?«
    »Du weißt, dass ich die Bücher schon während meines Studiums geführt habe. Plenzrat kann nichts dafür. Drei Jahre Missernte, das hält der gesündeste Betrieb nicht aus.«
    »Aber Junge, warum hast du denn gar nichts gesagt?«
    »Was hätte das denn genützt, Großpapa? Du wärst nur vor lauter Sorgen nicht in den Schlaf gekommen.«
    »Und wie soll es weitergehen, wenn die Bank wirklich kein Geld mehr gibt?«, fragte Ferdinand. »Warum bittet ihr nicht Clemens? Er scheint doch …«
    »Kommt überhaupt nicht in Frage«, schnitt sein Bruder ihm das Wort ab.
    »Ehrlich gesagt, Großpapa, habe ich auch schon daran gedacht.«
    »Nein und noch mal nein. Ich verbiete euch, auch nur daran zu denken.«
    Die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel, als sie in der offenen Kutsche nach Wallerstein hinüberfuhren, vorbei an wogenden Feldern, durchsetzt mit leuchtenden Mohn- und Kornblumen. Auf saftigen Weiden grasten Kühe, und in weiß eingezäunten Koppeln weideten Stuten mit ihren Fohlen. Hin und wieder unterbrach ein kleiner Mischwald die herrliche Landschaft. Alexander war tief in Gedanken versunken. Was sollte bloß aus ihm werden, wenn sie Linderwies verkaufen mussten? Birkenau mit seinen zehntausend Morgen Land benötigte keinen Verwalter, schon gar keinen mit seinen Fähigkeiten. Außerdem würde es nicht genug abwerfen, um neben seinen Großeltern ihn selbst und vielleicht eine kleine Familie zu ernähren. Er würde sich wohl oder übel demnächst nach einer anderen Stelle umsehen müssen. Sie fuhren die Auffahrt nach Wallerstein hinauf, und da lief ihnen auch schon seine Mutter entgegen, strahlend schön und allem Anschein nach überglücklich. Für den Moment vergaß er seine trüben
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