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Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Titel: Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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Seliger Ernst machen würde. Also war er ihn tatsächlich los, den Parvenü – auch gut! Er vergaß für einen Augenblick seine Schulden, bis er in seiner Post einen Brief von Anton Trautschke fand.
    Am kommenden Freitag, pünktlich um 15 Uhr, erwarte ich Sie in meinem Stadthaus in der Benderstraße. Ihr Nichterscheinen würde fatale Folgen für Sie haben.
    Das war zweifelsohne eine Drohung. Was mochte er wohl von ihm wollen, der Herr Schmierölfabrikant? Ellart war beunruhigt. Die folgenden Nächte fand er kaum Schlaf. Was konnte schon passieren, wenn er den Brief ignorierte? Seine Gedanken überschlugen sich. Er beschloss, am Donnerstag um Ausgang zu bitten. Würde der ihm verwehrt, hätte das Schicksal entschieden.
    »Schon wieder Ausgang, Fähnrich Kaulitz?«, fragte Oberfeldwebel Zwisel.
    »Eine dringende Familienangelegenheit, Herr Oberfeldwebel.«
    »Ausnahmsweise, Fähnrich Kaulitz. Zum Zapfenstreich sind Sie zurück.«
    Um drei Uhr erschien Ellart in Ausgehuniform in der Benderstraße. Ein Diener führte ihn in einen großen, mit dunklen schweren Möbeln eingerichteten Salon. Es dauerte einem Moment, bis Ellart den kleinen alten Mann sah, der, ihm den Rücken zugewandt, an einem der Fenster stand. Langsam drehte er sich um. Er sah elend aus, abgemagert und fahl. »Machen wir es kurz«, sagte er, und seine feste Stimme strafte sein Aussehen Lügen. »Sie haben meiner Tochter im letzten Jahr auf das Schändlichste Gewalt angetan. Das ist leider nicht ohne Folgen geblieben.« Ellart erstarrte. Das konnte nicht sein!
    »Ich habe hier ein Couvert.« In seiner Hand hielt er einen großen Umschlag. »Darin befinden sich, wenn ich richtig gerechnet habe, Schuldscheine über mehr als zehntausend Mark. Jakob, der Sohn meines Freundes Seliger, war so freundlich, mir die seinen zu überlassen und dabei behilflich zu sein, auch die restlichen käuflich zu erwerben.«
    Ellart schwankte der Boden unter den Füßen. Ihm brach der kalte Schweiß aus. »Darf ich mich setzen?« Seine Stimme zitterte.
    »Nein!« Wie ein Peitschenhieb klang das. »In meinem Haus gibt es keinen Platz für Sie, nicht einmal auf einem Schemel.« Er schwieg einen Moment. »Nun, ich will zur Sache kommen. Im Nebenzimmer wartet ein Beamter des Magistrats, zusammen mit meiner Tochter. Er wird Sie beide trauen. Zusammen mit der Trauungsurkunde erhalten Sie die Schuldscheine.«
    »Aber Herr Trautschke, das geht doch nicht!« Ellart hob beschwörend die Hände und machte einen Schritt auf Amalies Vater zu.
    »Kommen Sie mir nicht zu nahe! Sie sind mir zuwider. Es steht Ihnen frei, zu gehen.« Er ging zu einem großen Schreibtisch und deutete auf zwei beschriftete Couverts. »Das eine ist ein Schreiben an Ihren Kommandeur und dieses an Ihren Großvater. Er hat eine Woche Zeit, Ihre Schulden zu begleichen.« Er ging zur Tür. »Ich gebe Ihnen fünf Minuten, sich zu entscheiden. Und wagen Sie es nicht, mir oder meiner Tochter jemals wieder unter die Augen zu kommen.«
    Die Zeremonie war kurz. Amalie, tief verschleiert und in Reisekleidung, würdigte ihn keines Blickes. Nach der Unterschrift unter die Trauungsurkunde verließ sie grußlos den Raum. »Der Herr Trautschke hat mich angewiesen, Ihnen mit der Urkunde dieses Couvert zu überreichen«, sagte der Beamte förmlich. »Der Diener wird Sie hinausbegleiten.«
    Während der Bahnfahrt von Berlin nach Potsdam zerriss Ellart Schuldscheine und Trauungsurkunde in kleine Schnipsel und schmiss sie aus dem Fenster, als könne er damit alles ungeschehen machen. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Dieses verdammte Schwein, dieses verschlagene Miststück, dieser Seliger, wie konnte er nur! Fordern würde er ihn, ja, das war die einzige Möglichkeit, es diesem Parvenü zu zeigen.
    Gegen zehn Uhr betrat Ellart das Kasino. Es herrschte lautes Stimmengewirr, alle Tische waren besetzt. In der Nähe des Ausschanks saß Jakob Seliger, umgeben von seiner Entourage. Er bestellte lautstark eine neue Runde, als er Ellart erblickte. Er schien schon reichlich angetrunken. »Ah, der schöne Graf Kaulitz«, rief er und machte ein angeekeltes Gesicht. »Rieche ich da Kernseife, oder irre ich mich?«
    Einige seiner Gäste lachten pflichtgemäß. Das eben noch laute Stimmengewirr wurde leiser. Man wurde aufmerksam. Irgendetwas Unangenehmes schien sich da anzubahnen. Jakob tat jetzt so, als hätte er auf dem Boden hinter Ellart etwas entdeckt. »Ja und was sehe ich denn da? Ist das etwa eine Schleimspur aus Schmieröl?«
    Mit
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