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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling
Autoren: N Vosseler
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der Hoffnung, dass du mit mir einen neuen Anfang machen willst.« Helena setzte zu einer Erwiderung an, und er machte eine beschwichtigende Geste. »Mein Angebot, dir zu helfen, bleibt davon unberührt. Ich stelle keine Bedingungen, Helena«, sein Blick wurde weich, »aber das ist etwas, was ich mir mehr als alles andere wünsche. Ich – ich wünsche mir, dass du meine Frau wirst.«
    Warum nur schien bei Richard alles immer so zu sein, wie Helena immer geglaubt hatte, dass es sein müsse? Seine Worte, sein Verhalten ihr gegenüber – bei ihm schien alles einfach zu sein, ohne Zwang, ohne Widerstände.
    »Und am meisten wünsche ich mir, dass du mir vertrauen kannst«, drang seine Stimme in ihre Gedanken. »Aber zu Vertrauen gehört immer auch Ehrlichkeit, und – und es gibt da etwas, das ich dir verschwiegen habe.« Er betrachtete seine gefalteten Hände. »Es fällt mir nicht leicht, darüber zu sprechen, denn ich habe es noch niemandem erzählt. Aber ich kann vor mir selbst nicht verantworten, dass du deine Entscheidung triffst, ohne die Wahrheit zu kennen.«
    Helena schluckte, wollte ihn unterbrechen, wollte keine Geschichten aus der Vergangenheit mehr hören, nicht hier, nicht heute, aber wie unter einem Bann brachte sie kein Wort hervor, starrte ihn nur wie gelähmt aus ihrem Sessel heraus an, fühlte sich gezwungen, ihm zuzuhören, gegen ihren Willen.
    Er stand auf, ohne sie anzusehen, ging auf die andere Seite des Raumes und goss sich ein halbes Glas einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit ein. Das Glas in der Hand, ging er zum Kamin und starrte in die Flammen. Hastig trank er einen Schluck, dann warf er ihr einen kurzen Blick zu, und seine Stimme war rau, mit einem Tonfall darin, den sie noch nie bei ihm gehört hatte, halb angstvoll, halb metallisch distanziert.
    »Ich war einmal ein anderer, hatte ein anderes Leben. Hier, in Indien.«
    Er wandte sich wieder dem prasselnden Feuer zu, stützte sich mit einer Hand auf den Kaminsims, und seine Stimme klang belegt.
    »Ich wurde in einem kleinen Nest in Wales geboren, und meine Geburtsurkunde trug den Namen Richard James Deacon, genannt Dick. Wie so viele träumte ich von der großen, weiten Welt, von Ruhm und Ehre und trat in die Armee ein. Ich war ein ganz junger Kerl, als ich nach Indien kam, in das glorreiche Indien, das Juwel der britischen Krone – Gott, war ich naiv!« Er lachte bitter, schüttelte den Kopf und nahm einen tiefen Zug aus seinem Glas. »Ich mochte die Armee, mochte das Leben dort, die Kameradschaft – ich mochte sogar Indien und seine Menschen.«
    Doch der 12. Mai 1857 änderte alles, als er und die anderen Soldaten seiner Kompanie in Kalkutta vom Ausbruch des Aufstandes in Meerut und der Stürmung von Delhi erfuhren. Es fiel ihnen schwer, ihre sepoys , mit denen sie so etwas wie Freundschaft verbunden hatte, entwaffnen zu müssen, sie mit Argusaugen zu bewachen. Über Nacht hatte sich ein Graben umfassenden Misstrauens zwischen ihnen aufgetan, und ein banges Warten begann, ein Hoffen, dass die Aufstände eine Ausnahme bleiben würden, ein lokal begrenzter Brandherd. Diese Hoffnung erwies sich als trügerisch.
    Und dann kam Kanpur, die Stadt, deren Namen schließlich zum Symbol werden sollte für die Grausamkeit der Rebellen – Kanpur, die Garnisonsstadt, in deren vermeintlichen Schutz sich Hunderte aus dem Umland, bis aus dem fast dreihundert Meilen entfernten Delhi, geflüchtet hatten und die nun von den Aufständischen unter heftigen Gefechten belagert worden war. Endlich, nach Wochen, konnte General Sir Hugh Wheeler, der Kommandant der Stadt, mit Nana Sahib, dem Herrscher von Bhithur, unter dessen Oberbefehl sich die Meuterer gestellt hatten, ein freies Geleit für die dort eingeschlossenen Engländer aushandeln. Als die tausend Seelen, ein Drittel davon Frauen und Kinder, an den Sati Chaura Ghats die Boote bestiegen, die sie den Ganges abwärts nach Allahabad bringen sollten, wurden sie auf Befehl des Nana Sahib aus dem Hinterhalt niedergeschossen; viele von ihnen ertranken. Einige wenige entkamen knapp, und die letzten Überlebenden, kaum zweihundert, davon einhundertfünfundzwanzig Frauen und Kinder, wurden im Bibighar eingekerkert, jenem Bungalow, in dem einst, in einem scheinbar anderen Zeitalter, ein britischer Offizier seine indische Geliebte untergebracht hatte. Unter Hohn und Spott wurden die Frauen dazu gezwungen, mit der Hand Korn für ihre indischen Bewacher von Hand zu mahlen. Ruhr und Cholera grassierten in der
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