Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

High Heels und Gummistiefel

Titel: High Heels und Gummistiefel
Autoren: M Zagha
Vom Netzwerk:
über die neuesten Kollektionen aufbrachte.
    Es war echt ein Ding, ja, aber da stand es, schwarz auf weiß. Etienne, der immer so kühl und distanziert gewirkt hatte, der anscheinend so völlig in seiner Arbeit aufging. Etienne, von dem sie immer gedacht hätte, er sei für sie völlig unerreichbar. Der ernsthafte Etienne mit seinen langen Wimpern und dem seltenen, jäh aufblitzenden Lächeln. Etienne liebte sie. Er liebte sie wirklich.
    Und sie, was empfand sie? Nun ja, sie... Ihr war gleichzeitig heiß und kalt, sie fühlte sowohl freudige Erregung als auch lähmenden Schrecken, alles auf einmal. Und jetzt wurde ihr ein mächtiges Gefühl in ihrem Inneren bewusst, etwas, das schon seit langer Zeit da war und das nun wie die Flut anwuchs. Es lag ihr auf der Zunge, wie eine Erinnerung, die an die Oberfläche kam, sich ihr jedoch nicht enthüllen wollte. Was war das? Was bedeutete das? War es möglich, dass sie... dass sie Etienne tatsächlich liebte? Es gab nur eine Möglichkeit, das verlässlich herauszufinden. Selbstverständlich würde sie nachher hingehen und sich mit ihm auf der Brücke treffen. Dann würden sie über alles reden. Oh, was zog man zu einem solchen Anlass bloß an?, überlegte sie und breitete ihr Haar auf dem Kopfkissen aus. Nachher würde sie shoppen gehen und sich etwas ganz besonders Hübsches kaufen, etwas Unwiderstehliches. Daisy drehte sich im Bett herum, so dass sie die Füße gegen die Rückenlehne des Sofas stemmen konnte, und las Etiennes Brief noch einmal.
    Da fiel ihr das Datum oben auf der Seite auf. 14. Februar. Natürlich, Valentinstag. Das romantischste Datum des Jahres, wie wunderbar... Augenblick mal! Was? Nein, das konnte nicht sein, denn am Valentinstag, daran erinnerte Daisy sich noch ganz genau, war sie abends mit Raoul in einem mega-trendigen chinesischen Restaurant essen gewesen. Und das war... sieben Wochen her!
    Wieder setzte sie sich auf und dachte scharf nach. Ihr pinkfarbener
Mantel! Den hatte sie schon eine ganze Weile nicht mehr getragen. Tatsächlich hatte sie ihn... genau, am Valentinstag das letzte Mal angehabt. Damals hatte sie sich nachmittags mit Etienne getroffen, bevor sie abends mit Raoul ausgegangen war. Jetzt war ihr alles klar! Etienne hatte beschlossen, sie mittels eines handgeschriebenen Briefes wissen zu lassen, dass er sie liebte. Doch er hatte nicht gewagt, ihr den Brief persönlich zu geben, deshalb hatte er ihn heimlich in ihre Manteltasche gesteckt und gedacht, sie würde ihn finden, wenn sie nach Hause kam. Doch das war nicht geschehen. Zum einen war sie noch nie besonders methodisch vorgegangen, wenn es darum ging, die Taschen von Kleidungsstücken auszuleeren. Und dann, erinnerte sie sich, war das Wetter eine Zeitlang außergewöhnlich warm gewesen, und sie war tagelang ohne Mantel herumgelaufen.
    Und in der Zwischenzeit... Oh, in der Zwischenzeit hatte Etienne auf der Pont des Arts vergeblich auf sie gewartet, vor all diesen Wochen! Und seitdem... nun, das war sogar noch schlimmer, dachte Daisy und presste die Hände auf die Stirn. Er und Daisy hatten sich weiterhin getroffen und über seine Forschungsarbeit gesprochen – und sie hatte natürlich von nichts gewusst! Während sie vage registriert hatte, dass Etienne ein wenig verschlossen wirkte, hatte sie geplappert und alberne Witze gerissen wie früher. Er musste sie für dermaßen gemein und gefühllos gehalten haben, für dermaßen kaltherzig – ein richtiges Ungeheuer. Jetzt fielen ihr die dunklen Ringe wieder ein, die sie unter seinen Augen bemerkt hatte. Und es hatte Gelegenheiten gegeben, wo er ausgesehen hatte, als hätte er sich nicht einmal rasiert, obwohl er für gewöhnlich doch immer so makellos gepflegt war. Sie hatte das auf die schwere Arbeit geschoben, die ihn unleidlich machte. Doch es war keine Unleidlichkeit gewesen. Es war Traurigkeit gewesen, vielleicht sogar Verzweiflung.

    Daisy schwang die Beine herum und blieb im Nachthemd auf der Bettkante sitzen. Sie würde ihn anrufen. Genau das musste sie tun. In der anderen Manteltasche fand sie ihr Handy: Es war halb sechs. Egal. Mit hämmerndem Herzen suchte sie nach seiner Nummer. Vier, fünf, sechs, sieben Rufzeichen waren zu hören, dann setzte sie eine elektronische Stimme auf Französisch davon in Kenntnis, dass zur Zeit niemand erreichbar sei. Der Signalton piepte, und sie zuckte zusammen.
    »Oh! Äh, hallo, Etienne, hier ist Daisy. Hi! Es ist sehr früh, und es tut mir leid, dass ich dich aufwecke. Aber eigentlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher