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Hibiskusblüten

Hibiskusblüten

Titel: Hibiskusblüten
Autoren: Alexander Borell
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noch nie gehabt.“
    „Den laß’ ich mir aus New York schicken“, erklärte ich ihr, „der ist mit Ingwer.“
    „Aha“, sagte sie, „und Sie haben also wirklich etwas gefunden?“
    „Ja“, nickte ich, „und nun sag schon, warum du sie geklaut hast?“
    Sie zuckte kein bißchen mit den Wimpern, sondern schaute mich weiter unverwandt an.
    „Haben Sie es Onkel Joshua schon gesagt?“
    „Nein, noch nicht.“
    „Aber Sie werden’s ihm sagen?“
    „Ja, natürlich. Das muß ich ja, denn dafür werde ich doch bezahlt.“
    Sie öffnete ihre kleine, weiße Handtasche und holte Geldscheine heraus. Sie hielt sie mir hin und sagte: „Da sind fünfzig Dollar. Nehmen Sie! Aber sagen Sie Onkel Joshua bitte nicht, daß ich es war.“
    Ich nahm die Scheine, glättete sie nachdenklich und stopfte sie dann in meine Tasche.
    „Gut, Eve — wir machen das Geschäft miteinander. Aber nur unter einer Bedingung: du mußt mir sagen, warum du die Blüten abgeschnitten hast.“
    „Erst wenn Sie mir sagen, wie Sie’s gemerkt haben, daß ich
    es war.“
    Ich zog das Papier aus der Tasche und zeigte ihr die beiden langen, schwarzen Haare, die ich an den Pflanzen gefunden hatte.
    „Da, Eve, schau dir das an! Das sind zwei schwarze Haare. Die hab’ ich an den Hibiskuspflanzen gefunden. Deine Mutter hat auch schwarze Haare, aber sie sind kürzer als deine. Man könnte sie nun noch unter ein Mikroskop legen und mit deinen Haaren vergleichen, und dann würde man feststellen, daß es wirklich deine Haare sind. Du siehst, man hinterläßt immer eine Kleinigkeit am Tatort, und man wird immer erwischt. Wozu hast du die Blüten gebraucht?“
    Sie blickte nachdenklich vor sich hin.
    „Eigentlich“, sagte sie, „ist es ein Geheimnis und ich kann nicht darüber reden, sonst wirkt es nicht mehr.“
    Sie spitzte die Lippen und spuckte den Kaugummi in hohem Bogen ins Gebüsch. Dann schaute sie mich wieder an.
    „Vielleicht“, meinte sie, „lachen Sie mich auch aus, wenn ich es Ihnen sage?“
    „Nein, bestimmt nicht.“
    „Voriges Jahr hat’s nämlich auch gewirkt.“
    „So? Hast du sie denn auch schon im vorigen Jahr gestohlen?“
    „Ja, da hab’ ich’s ausprobiert.“
    Sie rückte etwas näher zu mir und sagte, geheimnisvoll flüsternd: „Man muß sich nämlich die Blüten ins Haar stecken und eine Kette draus machen, die man sich um den Hals hängt. Dann stellt man sich nachts um zwölf Uhr ans offene Fenster und schaut zum Himmel hinauf. Man muß dann den größten Stern suchen, und wenn man ihn gefunden hat, dann spricht man ganz langsam einen Wunsch vor sich hin. Wenn man alles richtig gemacht hat, geht der Wunsch in Erfüllung.“
    „Ach nein“, rief ich erstaunt, „das ist aber eine einfache Methode, zu etwas zu kommen! Was hast du dir denn im vorigen Jahr gewünscht?“
    Ihr Gesicht verschloß sich plötzlich vor mir; es sah aus, als würde ein Schleier über ihre Augen fallen.
    „Das sag’ ich nicht.“
    „Natürlich“, stachelte ich sie an, „weil das Ganze gar nicht stimmt. Es hat nicht funktioniert.“
    „Doch“, rief sie, „es hat funktioniert! Großmutter ist…“
    Sie brach erschrocken ab. Ich erinnerte mich daran, daß die Schwester Joshua Pickles, Mrs. Ellinor Clearney, vor einiger Zeit gestorben war und daß sie vermutlich die Mutter von Mary-Ann Buttom und somit die Großmutter von Eve war.
    „Sie ist gestorben“, sagte ich zu Eve, „das wolltest du doch sagen?“
    Sie schwieg eine Weile, aber dann nickte sie heftig.
    „Ja“, sagte sie, „sie ist gestorben. Und ich hab’s mir gewünscht!“
    Es klang wie ein Triumph.
    „Du hast weiß Gott fromme Wünsche, Eve, das muß ich schon sagen. Warum wolltest du denn, daß sie stirbt?“
    „Weil sie immer häßlich zu Mutti und mir war. Sie wollte immer haben, daß Mutti einen anderen Mann heiratet, aber Mutti mag doch Franky immer noch gern, und ich mag ihn auch gern. Und überhaupt war sie immer böse mit uns.“
    „Mhm“, machte ich, „da hast du dir’s gewünscht, und dann ist sie auch prompt gestorben?“
    „Ja“, sagte sie befriedigt, „genau so war’s.“
    „Und was hast du dir diesmal gewünscht?“
    „Das darf ich nicht sagen, weil’s sonst nicht in Erfüllung geht. Man darf erst darüber reden, wenn es in Erfüllung gegangen ist.“
    „Hast du dir womöglich gewünscht, daß wieder jemand stirbt?“
    „Nein, diesmal nicht. Ach — ich kann’s Ihnen ja auch sagen. Aber Sie dürfen nicht darüber reden, ja?“
    „Bestimmt
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