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Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Titel: Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
Autoren: Sascha u. a. Mamczak
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vom »jungfräulichen Land« erkor er jedoch den Planeten Mars.
    Seit Edgar Rice Burroughs hatten kriegerische Eingeborenenstämme die »neue Grenze« des Roten Planeten bevölkert. Hartgesottene irdische Abenteurer waren auf halbwilden Sauriern, Schwerter schwingend oder den Hitzestrahler in der Revolverhand, durch die Sandwüsten galoppiert. Ray Bradbury verbannte sie aus seiner Marswelt, machte diese Welt einer »gehobenen« Leserschaft schmackhaft. Seine aus den früheren Kurzgeschichten hervorgegangenen »Mars-Chroniken« (1950) verliehen ihr poetische Weihen, überhöhten sie zu jenem kosmischen »Eiland der Verheißung«, auf dessen Boden Amerika sich erneuern und überleben konnte. Den Hymnen nicht unähnlich, mit denen einst Walt Whitman den Aufbruch der amerikanischen Pioniere nach Westen besungen hatte, boten die »Mars-Chroniken« eine zeitgemäße Eloge auf den »Drang nach draußen«.
    Bradburys goldäugige Marsianer wurden von den Windpocken ausgerottet, die irdische Expeditionen einschleppten. Zuvor hatten sie an den Ufern der Kanäle Kristallhäuser bewohnt, die sich wie Blumen stets der Sonne zudrehten, hatten nachts auf weichem, stützendem Nebel geruht, der den Wänden entquoll, hatten sich von funkensprühenden
Flammenvögeln durch die Luft tragen lassen oder waren an Bord smaragdener Sandschiffe mit kobaltblauen Segeln gegangen. Nun aber begann der große Siedlertreck von der Erde zum Mars. »Die Raketen kamen wie Heuschrecken«, und die marsianischen Namen, die »vom Wasser und der Luft und den Hügeln« sprachen, wichen »mechanischen Namen, metallischen Namen«. Aus Ohio stammten die Siedler, aus Illinois, aus Kalifornien. Anfangs waren es Weiße, doch nicht lange und sämtliche Schwarzen kehrten dem Rassismus in Louisiana und Mississippi den Rücken. Die Menschen bauten Holzhäuser und legten Bergwerke an, hier entstand ein Koffergeschäft, dort ein Würstchenstand – alles wie zu Hause. Doch auch die irdische Kolonie erlebte ihren jähen Fall. Auf der Erde brach der Atomkrieg aus, Vorspiel des Szenarios in »Es werden kommen leise Regen«. Amerika rief seine Kolonisten zurück, und fast alle folgten dem Ruf. Den wenigen, die blieben, bot sich bald ein erschreckender Anblick über den abendlichen Hügeln des Mars:
    »Am dunklen Himmel veränderte sich die Erde. Sie fing Feuer. Ein Teil schien in eine Million Stücke zu zerbersten, als sei ein gewaltiges Puzzlespiel explodiert. Eine Minute lang stand sie in bösartigem, grellem Glanz, wuchs auf das Dreifache, schrumpfte dann zusammen.«
    Einer glücklicheren Familie als jener, die das sinnlos weiter funktionierende Haus inmitten der radioaktiven Trümmerwüste bewohnt hatte, war freilich die Flucht zum Mars gelungen. Und auch eine zweite, so hieß es, sollte es geschafft haben. Als die Eltern einen Tagesausflug vorschlugen, stimmten die Kinder begeistert zu. Ins abendliche Lagerfeuer wanderten die Reste der bürokratisch geregelten Existenz auf der Erde: statistische Erhebungen, Börsenberichte,
politische Analysen. Der Vater hatte den Kindern versprochen, sie würden Marsianer zu sehen bekommen. Nun ließ er sie allesamt in einen Marskanal schauen – und die Marsianer blickten als ihre Spiegelbilder zurück.
    »Die Rakete, imstande, uns zur höchsten Freiheit seit unserem Schöpfungstag zu erheben, kann uns genauso gut ins Jenseits befördern … Halb der Hölle entronnen, halb dabei, den Himmel zu erringen, steht der Mensch in seiner Zerrissenheit mit seinen ebenso doppelbödigen Maschinen auf dem Sprung und fragt sich, was er ist.«

    Wie diese Sätze (ebenfalls aus »Cry the Cosmos«) belegen, war Ray Bradbury sich völlig klar darüber, dass nicht nur die Atomkraft, sondern auch die Rakete militärisch missbraucht werden konnte. Zumeist jedoch überwog bei ihm die Verlockung des letzten, größten Aufbruchs der Menschheit, wie ihn die Raumfahrt verhieß und wie er der Rakete bedurfte: der visionäre Blick auf »die Ururenkel unserer Söhne, Lichtjahre entfernt, Siedler an einer fremden Grenze«. Da war er wieder, der Mythos der Grenze ( frontier ), entlang derer Amerikas Zivilisation sich ausbreitete:
keine abschließende Demarkationslinie, sondern ständig verschobener Rand der Erforschung, Urbarmachung, Besiedlung.
     
    Grundsätzlich in Frage stellte Bradbury den Sinn der Raumfahrt nur einmal: in der 1947 veröffentlichten Erzählung »Raketensommer« ( Planet Stories , Frühjahrsausgabe). William Stanley, Hauptfigur der
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