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Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Titel: Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hätte ich jetzt getan, was meine Gegner am allerwenigsten von mir erwarteten – nämlich selbst zum Angriff überzugehen. Aber die Umstände waren nicht normal. Meine Feinde hatten schon zur Genüge bewiesen, dass sie jeden meiner Schritte vorausahnten. Wenn ich also tat, wovon ich annahm, dass sie es als Letztes erwarten konnten, dann tat ich vielleicht genau das, was sie erwarteten. Es war zum Verrücktwerden.
    Ich war gerade dabei, mir einen gehörigen Knoten ins Gehirn zu winden, als ich ein Geräusch hörte. Im ersten Moment konnte ich es nicht klar identifizieren, sodass ich stehen blieb und einige Sekunden lauschte. Es war ein helles, rhythmisches Klappern – Hufschlag!
    Rasch wandte ich mich um, ließ alle Vorsicht fahren und lief in die Richtung, aus der das Geräusch erklang. Nach nur etwa einem knappen Dutzend Schritten lichtete sich der Wald und ich trat auf das schmale, überall von Unkraut und Wurzeln angefressene Teerband einer Straße heraus, gerade noch zurecht, um den hinteren Teil eines uralten Wagens zu sehen, der um die nächste Biegung verschwand. Also hatte Cordwailer doch gelogen. Es gab zumindest einen Wagen in Brandersgate; und irgendjemand hatte sich seiner bemächtigt und versuchte die Stadt damit zu verlassen. Vielleicht war das die Chance, auf die ich gewartet hatte.
    Ich lief hinter dem Wagen her, so schnell ich konnte. Als ich die Biegung erreichte, sah ich, dass es sich um einen einspännigen, offenen Leiterwagen handelte, auf dessen Bock eine zusammengesunkene Gestalt in einer schäbigen schwarzen Jacke hockte. Ich widerstand der Versuchung zu rufen und beschleunigte meine Schritte noch mehr. Der Wagen rollte rasch dahin, aber nicht so schnell, dass ich ihn nicht einholen konnte.
    Auf seiner Ladefläche lag ein dunkler Gegenstand, den ich nicht genau zu erkennen vermochte, aber ich glaubte, dann und wann eine Bewegung wahrzunehmen. Dann sah ich etwas, das mich vor Schrecken eine Sekunde im Schritt innehalten ließ: Wie über den Bahnschienen spannte sich auch über dieser schmalen Straße ein dünnes, filigranes schwarzes Netz, das sich sacht im Wind bewegte und auf den ersten Blick kaum zu erkennen war. Der Wagen befand sich vielleicht noch zwanzig Yards von ihm entfernt, und sein Lenker machte keine Anstalten, seine Geschwindigkeit zu verringern. Wenn er das Netz überhaupt gesehen hatte, so hielt er es wahrscheinlich für ein ganz normales Spinnennetz oder irgendein pflanzliches Gewebe.
    Oder er wusste, dass ihm keine Gefahr drohte.
    Gleichwie – ich hatte nun keine andere Wahl mehr. Ich rannte weiter, wobei ich aus Leibeskräften zu schreien begann.
    Das Fuhrwerk wurde nicht langsamer, aber sein Lenker drehte sich auf dem harten Sitz herum, sodass ich sein Gesicht erkennen konnte.
    Ich weiß nicht genau, wer erschrockener war – Tom oder ich. Seine Augen weiteten sich ungläubig und dem Schrecken folgte ein Ausdruck jäh aufflammenden Hasses. Aber er hielt immer noch nicht an, sondern ließ sogar die Zügel knallen, damit der altersschwache Klepper vor seiner Kutsche schneller lief.
    »Tom!«, schrie ich. »Halten Sie an! Um Gottes willen, halten Sie an!«
    Er versuchte im Gegenteil, noch einmal schneller zu fahren. Ich rannte, so rasch ich konnte, holte das Fuhrwerk ein und schloss zu ihm auf. Tom versuchte, mit seiner Peitsche nach mir zu schlagen. Ich zog den Kopf ein und nahm ein, zwei harte Hiebe über die Schultern in Kauf, bekam die Lehne des Kutschbockes zu fassen und versuchte mich hinaufzuziehen. Tom trat nach mir. Ich wurde halb zurückgeschleudert, hielt aber eisern fest und versuchte es noch einmal mit aller Kraft. Diesmal gelang es mir, mich halb auf den Wagen hinaufzuziehen. Tom ließ seine Peitsche fallen und schlug mit der Faust nach mir. Ich nahm einen weiteren Hieb hin, zog mich noch ein Stück weiter zu ihm hoch – und versetzte ihm einen Nasenstüber, der ihn mit einem erstickten Keuchen nach hinten kippen ließ.
    Ohne weiter auf ihn zu achten, ergriff ich die Zügel und zerrte mit aller Gewalt daran. Das Pferd scheute vor Schmerz und Schrecken, drohte für eine Sekunde auszubrechen und stieg mit den Vorderläufen in die Luft. Das ganze Fuhrwerk wankte, als wollte es umstürzen oder auseinander brechen, aber es kam zum Stehen – keine fünf Yards von dem schwarzen Netz über der Straße entfernt.
    Mir blieb nicht viel Zeit, mich meiner Erleichterung hinzugeben, denn Tom – der heftig aus der Nase blutete – hatte seinen Schmerz überwunden und
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