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Hexer-Edition 09: Dagon - Gott aus der Tiefe

Hexer-Edition 09: Dagon - Gott aus der Tiefe

Titel: Hexer-Edition 09: Dagon - Gott aus der Tiefe
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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kleinen Tischchen nieder und sah mich mit einer Mischung aus Vorwurf und Sorge an. Ich war froh, dass sie da war. Mary Winden war viel mehr für mich als eine Haushälterin oder ein weiblicher Majodomus. Sie war einer der ganzen wenigen Menschen, für die ich Zuneigung empfand und die dieses Gefühl erwiderten.
    »Sie haben kein Auge zugetan«, sagte sie streng. »Das Licht hat die ganze Nacht gebrannt -«
    »Ich schlafe oft bei Licht«, sagte ich, aber Mary fegte meine Worte mit einer fast ärgerlichen Handbewegung zur Seite.
    »- und ich habe während der ganzen Nacht Ihre Schritte gehört«, fuhr sie unbeeindruckt fort. »Sie bringen sich um, Robert, ist Ihnen das klar?«
    »Und wenn«, murmelte ich. »Ich glaube nicht, dass es ein großer Verlust für die Menschheit wäre.« Ich lächelte schief, als ich sah, wie es in Marys Augen aufblitzte, beugte mich vor und nippte wieder an meinem Kaffee. Das Getränk war so heiß, dass ich seinen Geschmack nicht einmal spürte, und ich hatte in den letzten Tagen zu viel davon in mich hineingeschüttet, als dass er noch eine irgendwie geartete belebende Wirkung gehabt hätte.
    »Macht es Ihnen großen Spaß, sich in Selbstmitleid zu ergehen?«, fragte Mary plötzlich. »Oder ist es einfach nur Feigheit?«
    »Wie … meinen Sie das?«, fragte ich verwirrt. Marys plötzliche Aggressivität überraschte mich. Ich hatte sie als zwar energische, aber doch durch und durch sanftmütige Frau kennengelernt, über deren Lippen kaum je ein böses Wort kam.
    »Das wissen Sie sehr gut, mein Junge«, sagte sie scharf. »Seit nahezu zwei Wochen verbarrikadieren Sie sich in diesem Zimmer, leben nur von Kaffee und Tabletten und richten sich selbst zugrunde.« Mit einer zornigen Geste deutete sie auf die Bücher und Manuskripte, die sich in fast meterhohen Stapeln auf dem Boden, dem Schreibtisch und jedem nur erdenklichen freien Fleck gesammelt hatten.
    »Ich weiß nicht, was Sie da tun«, fuhr sie fort, »aber was immer es ist, Sie werden es nicht zu Ende führen, wenn Sie sich vorher umbringen.«
    »Was ich tue?« Ich leerte meine Tasse und hob abwehrend die Hand, als Mary nachschenken wollte. »Ich suche, Mary«, sagte ich. »Ich suche nach einem Hinweis, einer Möglichkeit -«
    »Suchen Sie sich ein Bett und schlafen Sie sechsunddreißig Stunden aus«, fiel mir Mary ins Wort. »Vielleicht haben Sie dann mehr Erfolg.«
    Ich starrte sie an, aber mit Augen, die seit Tagen kaum mehr Schlaf gefunden haben und vor Müdigkeit ständig von selbst zufallen wollen, starrt es sich schlecht, und Mary hielt meinem Blick gelassen stand. Ich konnte ihr nicht einmal böse sein. Sie meinte es gut und sie wusste ja nicht, wonach ich suchte, und warum.
    Nun, was das wonach anging, wusste ich es selbst nicht einmal. Einen Hinweis. Irgendeine versteckte Andeutung, vielleicht nur ein Wort, dessen Bedeutung mir bis jetzt entgangen war.
    »Sie verstehen das nicht, Mary«, murmelte ich.
    »Glauben Sie?«, fragte sie gereizt. »Sie scheinen zu glauben, dass in meiner Brust ein Stein ist, wo das Herz sein sollte. Wofür halten Sie mich – für blind oder herzlos? Sie sind seit zwei Wochen zurück und seit der gleichen Zeit sind Howard und Rowlf verschwunden. Und warum auch immer, Sie geben sich die Schuld daran.«
    Ich verzichtete auf eine Antwort. Es wäre ziemlich lächerlich gewesen, Mary belügen zu wollen. Aber sie kannte nur einen Teil der Wahrheit. Es stimmte, dass ich mir die Schuld an Howards Verschwinden gab, denn letztendlich war ich es gewesen, der ihn auf die Spur der Albinoratte gesetzt hatte, auf eine Expedition, von der weder er noch Rowlf zurückgekehrt waren. Aber das war es nicht allein. Es gab da noch zwei Namen, zwei Gesichter, die mir nicht aus dem Sinn gingen: Lady Audley McPhearson und Shadow.
    Ich hatte versucht, sie zu vergessen, mit aller Macht, aber ich hatte eher das Gegenteil erreicht. Ihr Anblick schien allgegenwärtig. Der Gedanke, Schuld an ihrem Tod zu sein, war unerträglich. In den letzten Tagen hatte das Bild ihrer beiden Gesichter und der stumme Vorwurf in den Blicken, mit denen sie mich anzustarren schienen, begonnen, mich selbst in meine Träume zu verfolgen. Das war der wirkliche Grund, weswegen ich kaum noch schlief.
    Ich hatte Angst davor.
    Angst, alles noch einmal zu erleben, die schreckliche Szene am Fuße des Kraterwalles noch einmal durchleben zu müssen, immer und immer und immer wieder. Lady Audley hatte mir vertraut, bis zum letzten Moment, und sie war in meinen
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