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Hexer-Edition 01: Die Spur des Hexers

Hexer-Edition 01: Die Spur des Hexers

Titel: Hexer-Edition 01: Die Spur des Hexers
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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vielleicht vierzigjährige, sehr schlanke Frau blinzelte in die gleißende Nachmittagssonne hinaus. Ihr Gesicht war schmal und ein wenig zu streng geschnitten, und in ihrem Haar machten sich bereits die ersten grauen Strähnen bemerkbar. Sie war sehr einfach gekleidet: in ein graues, lose fallendes Kleid, über dem sie eine nicht mehr ganz saubere Schürze trug. Ihre Hände waren gepflegt, verrieten aber trotzdem die schwere Arbeit, die sie tagtäglich verrichten mussten, und ihre Augen blickten den hochgewachsenen Fremden mit dem instinktiven Misstrauen an, das Menschen eigen wird, die ein wenig zu oft vom Schicksal betrogen worden sind. Dies alles registrierte der Mann mit einem einzigen, raschen Blick, denn er hatte gelernt, sein Gegenüber in der allerersten Sekunde erkennen und einschätzen zu können. Innerlich atmete er auf. Maude Craven war das genaue Gegenteil der Stadt: Sie entsprach zu hundert Prozent dem Bild, das er sich von ihr gemacht hatte.
    »Miss Craven?«, fragte er.
    Die Frau nickte, öffnete die Tür aber nicht weiter, sondern sah den Fremden nur durchdringend an. Dann erfasste ihr Blick den Knaben an seiner Hand, und für einen Moment malte sich eine Mischung aus Freude und Überraschung auf ihren Zügen ab.
    »Sie sind …?«
    »Montague«, sagte der Mann. »Roderick Montague. Dürfen wir eintreten?«
    »Aber natürlich.« Maude Craven trat hastig einen Schritt zurück, wobei sie die Tür mit sich zog, schüttelte verstört den Kopf und versuchte sich in ein Lächeln zu retten. »Ich … habe Sie erst in einer Woche erwartet«, sagte sie.
    Montague antwortete nicht gleich, sondern trat mit einem raschen Schritt an ihr vorüber ins Haus, nahm seinen Sohn nun doch auf den Arm und wartete, bis Miss Craven die Tür wieder geschlossen hatte. Für einen Moment wurde sie zu einem blassen Schatten mit verschwimmenden Rändern, denn seine Augen hatten sich an das gleißende Weiß der Sonne gewöhnt, während hier im Haus hinter zugezogenen Vorhängen ein behagliches Halbdunkel herrschte. Die dünnen Wände vermochten der Hitze nicht standzuhalten, aber nach der stundenlangen Fahrt in der Kutsche kam ihm das Haus trotzdem beinahe kühl vor.
    »Ist das …« Maude Craven trat auf ihn zu und streckte die Hände nach dem Jungen aus. »… Robert?« Montague war sicher, dass sie es nicht bewusst tat, aber auf ihren Zügen erschien sofort ein sehr mütterliches Lächeln, und in ihren Augen lag mit einem Male die gleiche Wärme, die er stets in ihren Briefen gefühlt hatte. Er nickte.
    »Das ist Bob«, sagte er, schenkte dem Knaben ein flüchtiges, sehr müdes Lächeln und deutete mit einer Kopfbewegung auf Miss Craven. »Und das, Bob, ist Tante Maude. Willst du zu ihr?« Er machte Anstalten, den Jungen in die ausgebreiteten Hände Maudes zu geben, aber Robert drehte mit einem Ruck den Kopf weg und begann unwillig mit den Beinen zu strampeln.
    »Will nicht«, sagte er heftig. »Bob müde. Und Bob Durst.«
    »Nehmen Sie es ihm nicht übel«, sagte Montague rasch, als er die Enttäuschung auf Maudes Zügen bemerkte. »Die Fahrt war sehr anstrengend. Wir sind seit Sonnenaufgang unterwegs. Wenn ich ihn irgendwo hinlegen kann …?«
    »Aber natürlich. Hier entlang, bitte.« Maude öffnete eine der beiden Türen in der rechten Seite des Zimmers, hinter der ein kleines, aber sehr behaglich ausgestattetes Schlafzimmer lag. Montague trug den Jungen zum Bett, setzte ihn behutsam ab und begann sein Hemd aufzuknöpfen, während Maude Craven für einen Moment verschwand. Als sie zurückkam, trug sie ein großes Glas Milch in der Rechten. Aber obgleich der Junge vor Durst schier umkommen musste, griff er nicht danach, sondern musterte sie nur voller Misstrauen und zog einen Schmollmund. Dann sah er seinen Vater an. In seinen Augen war ein leichter, fiebriger Glanz.
    »Trink ruhig«, sagte Montague. »Und danach schläfst du ein bisschen, einverstanden? Wenn du dich ausgeruht hast, wird dir Tante Maude eine Menge spannender Sachen zeigen. Nicht wahr?«
    Die letzten beiden Worte galten Miss Craven, die um das Bett herumgegangen war und sich auf der gegenüberliegenden Kante niedergelassen hatte. Sie wirkte ein wenig hilflos, mit dem Milchglas in der Rechten und der schmuddeligen Schürze, die ihre freie Hand unbewusst zerknüllte. Montague spürte ihre Nervosität. Aber es war reine Verwirrung, die sie unsicher werden ließ, nicht die Nervosität, hinter der sich irgendeine Art von Schuldbewusstsein verbarg. Sie waren vier
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