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Hexer-Edition 01: Die Spur des Hexers

Hexer-Edition 01: Die Spur des Hexers

Titel: Hexer-Edition 01: Die Spur des Hexers
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Tage zu früh gekommen, und nun wusste sie ganz offensichtlich nicht, wie sie reagieren sollte.
    Genau dies war der Grund, aus dem er vor dem verabredeten Zeitpunkt hergekommen war. Es gibt kaum eine bessere Möglichkeit, einen Menschen wirklich kennen zu lernen, als ihn zu überraschen.
    »Vielleicht lassen sie uns einen Augenblick allein, Miss Craven«, bat Montague. »Robert ist erschöpft. Ich denke, er wird gleich einschlafen. Danach können wir reden.«
    Maude Craven wirkte von diesem Vorschlag nicht sehr erbaut, und sie gab sich keine Mühe, ihre wahren Gefühle zu verbergen. Trotzdem sagte sie kein Wort, sondern setzte das Milchglas fast behutsam auf einem kleinen Tischchen neben dem Bett ab, wandte sich um und verließ den Raum. Montague wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Erst dann drehte er sich wieder zu seinem Sohn um und lächelte. »Du darfst nicht böse zu Tante Maude sein«, sagte er sanft. »Sie mag Kinder sehr, musst du wissen. Und dich ganz besonders.«
    Robert zog eine Grimasse. »Bob mag sie nicht«, sagte er. »Bob will gehen.«
    Montague schwieg. Seine Lippen pressten sich zu einem schmalen, blutleeren Strich zusammen, als er die Hand hob und die Stirn seines Sohnes berührte. Roberts Haut fühlte sich heiß an und rau, wie warmes Sandpapier. Montague fühlte das Fieber, das in den Adern des Dreijährigen wühlte. Er atmete tief und hörbar. Es hörte sich an wie ein fast lautloser Schrei. Nicht zum ersten Mal in den vergangenen Tagen kam Montague mit schmerzhafter Wucht zu Bewusstsein, wie ähnlich der Junge seiner Mutter war.
    Er vertrieb den Gedanken. »Ich … ich werde jetzt etwas tun, mein Sohn«, sagte er. Seine Stimme zitterte. Etwas war darin, was der Junge noch nicht verstehen konnte. Aber er spürte es, mit der Sensibilität, die nur Kindern zu eigen ist, denn in seinen vom Fieber getrübten Augen glomm jäher Schrecken auf. Seine kleine Hand umklammerte die Finger seines Vaters mit aller Kraft. »Irgendwann wirst du mich für das hassen, was ich tun muss«, fuhr Montague fort. »Aber vielleicht wirst du irgendwann auch verstehen, warum ich es tat.« Plötzlich war seine Stimme wirklich nur noch ein Flüstern. »Es ist der einzige Ausweg, Robert. Du musst leben.«
    »Daddy traurig?«, fragte Robert.
    Montague nickte. Eine einzelne, heiße Träne lief aus seinem Augenwinkel, zeichnete eine glitzernde Spur über seine Wange und versickerte in seinem Bart. »Ja, Bob«, antwortete er mühsam. »Dein Daddy ist sehr traurig. Verzeih mir, mein Sohn. Und nun schlaf ein.«
    Der Junge schlief ein. Seine Augen schlossen sich, seine Glieder wurden schwer und schlaff, und sein Atem, gerade noch schnell und unregelmäßig, ging von einer Sekunde auf die andere tief und ruhig. Selbst Montague, der diesen Vorgang tausendmal miterlebt – und bewirkt! – hatte, konnte ein Schaudern nicht unterdrücken, denn das Kind glitt so schnell vom Wachsein in den Schlaf hinüber, dass es fast wie ein Sterben wirkte.
    Lange, sehr lange saß er einfach so da und blickte auf das bleiche Gesicht seines Sohnes herab. Es würde für lange Zeit das letzte Mal sein, dass er es sah; vielleicht für immer.
    Dann, nach einer Ewigkeit, hob er zum zweiten Male die Hand und berührte die Stirn des schlafenden Kindes, aber diesmal nicht, um ihn zu streicheln oder einfach seine Nähe zu fühlen, sondern um etwas zu tun, wofür er sich selbst den Rest seines Lebens hassen würde. Sein Mittelfinger suchte und fand die Stelle genau über der Nasenwurzel des Kindes, während sich Zeige- und Ringfinger auf seine geschlossenen Lider senkten. Für einen Moment schloss er die Augen. Als er sprach, klang seine Stimme sehr leise und monoton, und trotzdem von suggestiver Kraft erfüllt.
    »Du wirst jetzt schlafen, Bob«, sagte er. »Du wirst lange und tief schlafen, und wenn du erwachst, wirst du mich vergessen haben. Du wirst dich an nichts mehr erinnern, was bis heute geschehen ist. Dein Name ist Robert Craven, und du lebst bei deiner Tante, solange du denken kannst. Du hast mich niemals gesehen. Du hast den Namen Andara niemals gehört.« Er zog die Hand zurück, ballte sie zur Faust, so fest, dass sie zu zittern begann und die Knöchel wie kleine Narben durch die Haut stachen. »Und wenn wir uns irgendwann wieder sehen sollten, mein Sohn«, flüsterte er, »dann hoffe ich, dass du mir vergeben kannst.«
    Einen Moment lang blickte er noch auf seinen schlafenden Sohn herab, fast, als warte er darauf, dass er die
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