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Hexen: Vier historische Romane (German Edition)

Hexen: Vier historische Romane (German Edition)

Titel: Hexen: Vier historische Romane (German Edition)
Autoren: Roswitha Hedrun
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zeigte.
Zum Glück hatte mich Palmatia, aufgrund meiner sich wiederholenden Unterleibsbeschwerden unlängst auf diesen Moment vorbereitet: „Erschrick nicht, Tora, wenn du demnächst aus deiner Scham blutest, das ist ein natürliches Frauengeschehen, das sich alle vier Wochen wiederholt.“
F r a u e n geschehen, hatte ich innerlich darüber kichern müssen, ich bin doch ein Kind!
Wohl aufgrund meines Gesichtsausdrucks hatte Palmatia ihre Aufklärung ergänzt: „Von da an bist du kein Kind mehr, meine liebe Tora, sondern Jungfer und giltst somit als heiratsfähig.“
Das war für meinen närrischen Schädel zu viel gewesen, ich hatte mir beide Hände auf den Mund pressen müssen, um nicht laut loszuprusten.
Doch wie es so geschieht, musste es mein Schädel nach bereits zwei Wochen nun doch akzeptieren, ich war über Nacht zur Jungfer geworden.
Deshalb fand es Tante Anna, als ihr diese Neuigkeit zu Ohren kam, an der Zeit, dass ich meine noch immer sporadischen Aufbegehrattacken sowie meinen Kicherdrang bezähme, was mir kaum gelingen wollte. Dennoch beobachteten die Schwestern bald erfreut eine Wandlung meiner Albernheit in Humor. Allerdings konnte ich den mir selbst neuen Humor nur ansatzweise zum Ausdruck bringen, da sich meine schwerfällige Zunge noch immer meinem Willen widersetzte, ich konnte bestenfalls einige Silben zustande bringen.
„Du bist T o r r r a“, sprach mir die Äbtissin, eine gebürtige Spanierin, mit ihrem leichten Akzent häufig vor. „Und ich bin A n n a, fürr dich T a n t e A n n a. Sprrich es nach.“
Doch so oft und sehr ich mich auch bemühte, dieser Aufforderung nachzukommen, meine Zunge formte jene Worte stets nur unzulänglich.

    I m Laufe der darauf folgenden Wochen verlor ich mich immer seltener in die Traumwelt, ich war überwiegend klar bei Sinnen und empfand meinen Geisteszustand bald als merkwürdig. Denn oft empfing ich spontan Erkenntnisse aus dem Unterbewusstsein, und zu meinem Erstaunen verstand ich Fremdsprachen, die ich in dieser Vielfalt nie erlernt haben konnte. Meine Gabe dieser universellen Fremdsprachenbeherrschung wurde mir an Konversationen unter den verschiedensten ausländischen Pilgern bewusst, die in unserem Refektorium bewirtet wurden und oftmals auch in unserem Gästeschlafsaal übernachteten. Ich verstand jedes ihrer Worte. Bald reizte es mich, diesen Pilgern in ihrer jeweiligen Sprache lautlos zu antworten, mitunter auch im Flüsterton. Und siehe an, dagegen hatte meine bislang so bockige Zunge nichts einzuwenden, sie formte geschmeidig jedes fremde Wort.
Das nutzte ich, indem ich nun zwischen ausländische Sätze deutsche Worte mogelte, und diese List gereichte zum Erfolg, meine Zunge konnte bald zwischen Fremd- und Muttersprache nicht mehr unterscheiden.
Mit dieser neuen Gabe trat ich eines Tages glücklich vor die Äbtissin und brachte fehlerfrei heraus: „Tante Anna, fürrr mich bist du Tante Anna.“
„Torra“, sie drückte mich fest an sich, „Torra, oh, du!“
Dann dauerte es nicht mehr lang, bis ich mich mit allen Klosterbewohnern flüssig in dem hier üblichen Schwabendialekt unterhalten konnte.

    A ngesichts dieser Entwicklung hätte ich nun mit mir selbst zufrieden sein sollen. Doch davon war ich weit entfernt, ich empfand mich nach wie vor als minderwertiges Wesen. Überdies marterte mich Heimweh nach meinem mir unbekannten Elternhaus, und ich sehnte mich nach Gleichaltrigen, nach Freundinnen. Darum verging für mich im Kloster Odenborn kaum eine Nacht, in der ich nicht mein Kissen mit bitteren Tränen tränkte.
Hinzu kam ein weiterer Umstand, der mir mein hiesiges Dasein erschwerte. Sowie ich auch nur den Kopf aus meiner Stubentür steckte, musste ich mein entstelltes Gesicht hinter einem weißen, engmaschigen Schleier verbergen, da meine Verletzungen, außer der Äbtissin, Palmatia und Magda, jedem unsichtbar bleiben mussten. Das machte mich wütend, da innerhalb der Gebäude ohnehin alles in einem eintönigen Grau verschwamm - die Mauern, die Steinböden und -decken, sowie der Arbeitshabit der Nonnen, alles war grau, steingrau. Doch Magda tröstete mich mit der Aussicht, mein Haar werde bald lang genug sein, um mit ihm den Schleier zu ersetzen, zumal sich die abzudeckenden Verletzungen, dank Palmatias Heilkunst, fast nur noch auf die Gegend des linken Auges beschränkten.
Ja, meinen Kopf umgaben mittlerweile dicke, weiße Locken die einen Blondschimmer enthielten, weshalb Magda und Palmatia sie, reichlich übertrieben, als weißblond
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