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Hexen: Vier historische Romane (German Edition)

Hexen: Vier historische Romane (German Edition)

Titel: Hexen: Vier historische Romane (German Edition)
Autoren: Roswitha Hedrun
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einem Löffel etwas Tee auf die Zunge. Er konnte ihn kaum schlucken.
„Lass, Siglind“, sagte ihr Hermod darauf leise, nahm ihr den Löffel aus der Hand und legte ihn beiseite.
Waldur sah die beiden trotz geschlossener Augen an seinem Bett sitzen. Er sah, dass Siglinds Kopf tief gesenkt war, weshalb Hermod mit seinem Stuhl näher zu ihr rückte, um sie zu trösten. Er erinnerte sie daran, wie befreiend es für Waldur wird, wenn er endlich seinen Erdenkörper abstreifen kann, diesen nun ganz und gar maroden Erdenkörper, und welche Freuden ihn in der sonnigwarmen Nifelregion erwarten. „Gönne ihm das, Siglind“, redete er ihr zu, „und halte ihn nicht mit deinen Tränen hier fest, du liebst ihn doch.“
Sie nickte. Dann schaute sie zu Waldurs Beglückung mit zwar tränenfeuchten doch überaus liebevollen Augen zu ihm hin und flüsterte: „Er sieht so glücklich aus, Hermod, fast fröhlich.“
„Ja“, bestätigte Hermod ihr lächelnd, „sein Frohsinn leuchtet ihm selbst jetzt noch aus dem Gesicht.“
Mit einem Mal, als habe sich ein Vorhang aufgetan, verbreitete sich vor und über Waldur eine duftig-bunte Lichterflut, aus der ihn zwei Gestalten anlächelten.
‚Mutter! Vater!’, erkannte Waldur sie, wonach sie ihm zuriefen:
‚Komm, Junge’, und ihm die Arme entgegen streckten.
Erfreut schwebte er zu ihnen empor, doch ehe er sie erreichte, bremste ihn wieder das Ätherband. Es gab ihn noch nicht frei, obgleich er fühlte, wie es sich aus dem Erdenkörper lockerte.
Siglind, Hermod und Gernod halfen Waldur bei der Loslösung, indem sie, nun in der Mitte des Aufenthaltsraumes zwischen all den Blumen sitzend, für ihn musizierten. Weiche Luren- und Lyraklänge, zu denen Gernod leise sang, eine fast heitere Melodie, die Waldur immer freier werden ließ.
Doch plötzlich, statt hoch zu schweben, wurde Waldur durch einen Tunnel hinab gesogen, hinein ins Urdreich, zurück in die tiefste Vergangenheit. Bilder liefen vor ihm ab, er bekam all seine früheren Midgardleben vor Augen, eins nach dem anderen. Dabei beobachtete und begriff er seine gesamte Entwicklung, von seiner Entstehung als primitives Midgardwesen bis hin zum heutigen Tag. Danach geriet er übergangslos in das Reich der Skuld, sie führte ihm seine Zukunft vor, Leben für Leben, jedes Detail. Und am Schluss erschaute er, wie in fernster Zukunft sein letztes Leben in die Herrlichkeit jener Himmelssphäre einmündet, aus der es uns Menschen einst blind, doch wissensdurstig hinausgetrieben hat, und in die wir nach unzähligen Midgardwanderungen erkennend, geläutert und glückselig wieder einkehren.
Die Bilder verschwanden so unerwartet, wie sie aufgetaucht waren, wenngleich soeben Jahrmillionen an Waldur vorbeigezogen waren, erst Urd dann Skuld.
‚Ich weiß, Werdandi’, sprach Waldur zu ihr, ‚nur aus irdischer Sicht Jahrmillionen, in Wahrheit seid ihr Drei eins, immerwährende Gegenwart.’
Während dem soeben Erlebten war auch unverändert dieses duftige Bunt über Waldur, und daraus lächelten ihn nach wie vor seine Eltern an.
‚Mutter!’, rief er freudig zu ihr empor, worauf sie ihn mit weit ausgebreiteten Armen einlud: ‚Komm zu uns, mein Junge, komm!’
Nun ein sanfter Ruck - er war befreit, sein Herz jubelte, und er flog hinein in seine neue Lichtheimat.

Kapitel 22
Im Frühjahr 1542
    D er Zauberspiegel in Hildegards Dachstube verblasst, verliert sein Eigenleben.
Nach einer Besinnungspause fügt der Falke den Geschehnissen ergänzend hinzu: „Als Chlodwig vom Hinscheiden seines einstigen Freundes erfuhr, erlitt er einen tödlichen Schock. Er hauchte nur wenige Tage nach Waldur sein Erdenleben aus.“ Des Falken Stimme ist kaum vernehmlich, als er, wie zu sich selbst, noch bemerkt: „Eine solche Hassliebe ist wohl nicht zu überbieten.“
    H ildegards und Bärbels Blicke haften weiterhin auf dem jetzt farblosen Kristall. Sie fühlen sich noch eins mit ihrer früheren Verkörperung und dem seinerzeitigen Keltenleben. So nehmen sie auch nicht wahr, wie sich der Falke nach einiger Zeit erhebt und sich etwas den Rücken reckt. Dann tritt er langsam ans Fenster und streckt seinen goldbraunen Kopf hinaus in die lange schon eingebrochene Nacht.
Nur allmählich lösen sich die Frauen aus der Vergangenheit und werden sich ihres hiesigen Daseins bewusst. Noch einer Weile, dann wenden sie sich vom Spiegel ab. Zunächst dreht sich Bärbel, tief die frische Luft einatmend, auf ihrem Stuhl zum Fenster um und nach ihr Hildegard, die sich zur Seite neigt,
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