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Hexen: Vier historische Romane (German Edition)

Hexen: Vier historische Romane (German Edition)

Titel: Hexen: Vier historische Romane (German Edition)
Autoren: Roswitha Hedrun
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ihren eigenen Lauf, halte jedoch mein Bewusstsein wach und gezielt auf Werdandi gerichtet.
Ich werde leicht, fühle meinen Erdenkörper nicht mehr, beginne zu schweben, und bald durchfliege ich in Windeseile das Nifelheim und anschließend die immer lichteren Mentalregionen.
Schon im Kausalreich? Ja, ich bin angelangt. Erhaben leuchtet mir der Urdbrunnen entgegen, und während ich zu ihm gleite, rufe ich nach Werdandi. - Sie vernimmt mich heute nicht.
„Doch, Waldur“, ertönt jetzt ihre Himmelsstimme, „wenn du meine Antwort allerdings nicht wahrnimmst, dann liegt das an dir.“
Die Norne muss neben mich geschwebt sein, ich fühle ihre mächtige, hehre Ausstrahlung, die mich momentan verstummen lässt. Sie gibt mir etwas Zeit, bevor sie wieder das Wort an mich richtet: „Du hast mit deinem Schicksal gehadert, weshalb?“
„Ja, weil - weil ich es nicht mehr habe begreifen können“, gestehe ich, worauf sie verständnisvoll eingeht:
„Du meinst dein langes Krankenlager. Damit, Waldur, hast du gleichsam eine noch weiter zurückliegende Schuld am heutigen Chlodwig abgetragen. Doch nun ist all diese Schuld getilgt, restlos.“
„Restlos getilgt?“, wiederhole ich erstaunt, was sie mir bestätigt:
„Ja, daher deine plötzliche Schmerzfreiheit. Aber deshalb alleine hast du nicht nach mir verlangt, nenne mir dein eigentliches Anliegen“.
„Mir bleiben doch nur noch wenige Tage im Midgard, und so sehr ich mich während der letzten Wochen auch bemüht habe, meinen Eigensinn einzudämmen, ich habe Chlodwigs Wahn noch immer nicht erkannt. Könntest du mir dabei helfen?“
„Ja, Waldur“, stimmt sie zu, „da du dich ehrlich darum bemüht hast, soll dir Hilfe zuteil werden. Ich werde dir dazu Einblick in euer nächstfolgendes Midgardleben bieten. Dann lass dich dazu fortführen.“
Als habe sie mich bei der Hand genommen, geleitet sie mich um den weiten Brunnen bis zu einer Einbuchtung, die jener Stelle gegenüberliegt, wo ich das letzte Mal verweilt habe.
„Von hier fällt der Blick in die Welt von Skuld“, erklärt sie mir, „du wirst diesmal tausend Midgardjahre vorausschauen. Und damit du das für dich Wesentliche jenes Erdenlebens erfasst, lasse ich dich nur kurze Ausschnitte sehen und dich selbst auch nicht in Erscheinung treten. Jetzt blicke in den Brunnen und vertiefe dich in seine Wasser.“
Während ich mich vertiefe, vergesse ich mich mehr und mehr, wenngleich ich deutlich Werdandis Zuspruch vernehme: „Lass dich forttragen, Waldur, weiter und weiter, tausend Midgardjahre in die Zukunft, dann wirst du Würzburg vor dir haben.“
    E s ist düster hier und zum Würgen stickig. - Würzburg.
Wüsste ich es nicht, ich würde diese winzige Stadt, in der nicht mal halb so viele Bewohner Platz finden können wie heute, nimmer für das spätere Würzburg halten. Auch sonst ist nichts mehr wie heute. Wo sind all die Hausgärten geblieben und die bepflanzten Straßen? Ich sehe nur verwinkelte Gassen und gedrungene Gänge, keine Festwiesen mehr, keine freie Fläche, allenfalls den Marktplatz. Was ich hier vor mir habe wirkt bedrückender als jede heutige nordgallische Stadt.
Jadoch, fällt mir ein, Chlodwigs Nachkommen werden ja den gesamten Maingau romanisieren. Würden sie wohl dieses Ergebnis hier, wenn sie es sehen könnten, für einen gelungenen Fortschritt halten?
Zwischen den sich furchtsam duckenden Fachwerkhäusern und Holzbuden trutzt da und dort ein steinernes Verwaltungsgebäude oder eine Kirche empor, und hinten auf dem Würzberg droht, wie eine Gewitterwolke, die alte Festung, renoviert und wieder bewohnt.
„Man nennt sie heute Marienburg“, belehrt mich die Norne. „In ihr ist ein Kloster eingerichtet sowie der Regierungssitz des hiesigen Fürstbischofs. Aber richte dein Augenmerk jetzt auf die Menschen.“
Ich betrachte mir die Menschen. Ebenso finster wie die Stadt, schlurfen, schreiten oder reiten sie durch die Gassen. Die Schlurfenden finster vor Angst und die paar Schreitenden und Reitenden finster vor Bosheit. Wobei die Nifelauren der Boshaften rußig flammen, sie sind niederastralisch entartet, eindeutig durch bereitwillig angenommenen Dämoneneinfluss. Demnach wütet derzeit eine Seelenseuche. Ja, ich erkenne, es ist ein Hexenverbrennungswahn, die Macht der weisen Frauen soll aus der Welt geschafft werden, was offensichtlich schon weitgehend gelungen ist. Dazu angeregt werden die daran beteiligten Menschen von einem rot lodernden und schwarz umwölkten männlichen Riesendämon mit
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