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Hexen: Vier historische Romane (German Edition)

Hexen: Vier historische Romane (German Edition)

Titel: Hexen: Vier historische Romane (German Edition)
Autoren: Roswitha Hedrun
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alleine meistern musste, und mir fehlten alle Erfahrungen einer Jungfer meines Alters, denn gewissermaßen war ich ja hier, eingeigelt im Kloster Odenborn, geboren.
Wo aber war ich tatsächlich geboren, wer waren meine Eltern und Angehörigen? Zwar hatte mir mein Gedächtnis meine früher erworbenen Allgemeinkenntnisse enthüllt, doch Persönliches aus jener Zeit hielt es nach wie vor unter dunklem Gewölk verborgen. Die Nonnen blieben bei der Aussage, ich sei diesem Kloster als Elfjährige nach einem Unfall, bei dem meine Eltern ihr Leben verloren hätten, überantwortet worden, um medizinische Betreuung zu erfahren. Sie glaubten, was sie sagten, das enthüllten mir meine Feinsinne. Dennoch ahnte ich, dass die Dinge anders lagen. Meinem Gefühl nach lebten meine Eltern, außerdem müsste ich Geschwister haben, und alle sehnten sich ebenso nach mir, wie ich mich nach ihnen, das fühlte ich genau. - Nein, nur vage.
Aber nicht nur eine Ahnung, auch mein Verstand sagte mir, dass meine Eltern noch leben müssten, weshalb denn sonst verschwieg mir die Äbtissin so beharrlich ihren Namen und Wohnsitz? Lebten meine Eltern etwa in unmittelbarer Nähe? Sie mussten Edelleute sein, denn ich hatte eindeutig eine gehobene Erziehung genossen. Damit war der Kreis schon enger. Wie aber sollte ich meine Familie ausfindig machen, etwa hinaus auf die Straße laufen und mich nach Adelsfamilien erkundigen? Nein, ich brauchte fremde Hilfe, zu diesem Schluss war ich schon länger gelangt. Es trafen genügend Auswärtige in unserem Kloster ein, wobei mir die verschiedenen Händler, die uns täglich Waren lieferten oder Arzneien abkauften, dazu am geeignetsten schienen. Ich müsste mit ihnen in Kontakt treten. Wie aber sollte ich ihnen dann mein Anliegen vortragen, etwa: „Mein Name ist Viktoria, ich suche meine Familie, es muss eine Adelsfamilie sein. Kannst du mir dabei helfen?“ Blanker Unsinn doch! Es war zum Verzweifeln.
Verzweifeln brachte mich natürlich nicht weiter, und da mein Wesen zunehmend von Hoffnung und Optimismus durchpulst wurde, ließ ich nicht nach in dem Versuch, der Äbtissin wenigstens eine einzige Auskunft über mein Elternhaus zu entlocken. Bislang war sie meinen diesbezüglich bohrenden Fragen mit den stets gleich lautenden Worten, ‚das kann ich dir nicht sagen’, ausgewichen.
Doch diesmal werde ich geschickter vorgehen.

    D azu passte ich sie eines Nachmittags im Refektorium ab und bat sie um eine Minute Zeit für mich. Sie sagte zu, und nun brachte ich sie mit einer folgerichtigen Fragestellung aus dem Gleichgewicht: „Es stimmt doch, dass dieses Kloster für meine Aufnahme eine stattliche Summe erhalten hat, nicht wahr?“
„Ja, das ist üblich“, antwortete sie irritiert, worauf ich deutlicher wurde:
„Eben. Und nur du weißt, woher sie stammt - von meinen Eltern?“
„Das, nein, natürlich nicht“, stammelte sie, „du weißt doch, dass deine Eltern . , dass du eine Vollwaise bist, das weißt du doch . .“
Sie log. Für mich eindeutig erkennbar an diesem Schwefeldunst, den Lügereien verbreiten. Meine Tante Anna, der ich bedingungslos vertraut hatte, log mich an. Ich wandte mich enttäuscht ab von ihr.
Gleich drauf erfüllte mich Trotz. Werde ich meine Herkunft eben anderweitig auskundschaften! Und von der Äbtissin, der ich nicht mehr als eine Lüge wert war, lass ich mir künftig nichts mehr vorschreiben. - Vor allem werde ich keinen Schleier mehr tragen! Jawohl!

    D azu rückte ich mir in meiner Stube den Spiegel auf dem Waschtisch zurecht, setzte mich davor und nahm den Schleier ab. Wieder stierte mich aus diesem schrägen Schlitz das wimpernlose, türkisfarbene Schlangenauge an, zum Grausen. An dieser Stelle musste ich bei dem Unfall auf etwas Hartkantiges gestoßen sein. Wenn ich mich doch erinnern könnte! Aber nicht jetzt, momentan ging es um den Versuch, mit meinem Haar den Schleier zu ersetzen. Die etwas eingedellte Schläfe war gut bedeckt, doch da mein Haar gelockt war, reichte es nicht vollständig über das Auge. Ich zog die entsprechenden Locken lang, das nutzte aber nichts, sowie ich sie losließ, sprangen sie wieder hoch. Nur gut, dass meine Gesichtshaut durch das Schleiertragen so weiß war wie mein Haar, so könnte man die Narben für Locken halten. Aber dieses Auge? Sei’s drum, ich werde mir das Haar geschickt ins Gesicht ziehen und so hergerichtet zum Abendbrot erscheinen. Ja, das werde ich.
Dann verließ mich doch der Mut. Die Vorstellung, mit unzulänglich bedecktem Gesicht
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