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Heute bin ich blond

Heute bin ich blond

Titel: Heute bin ich blond
Autoren: Sophie van der Stap
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schön, dass er mich heute Nacht meine größte Angst aussprechen ließ und das nicht abgeblockt hat.
    Ich stehe immer noch an der Kommode und kratze mich am Kopf. Die paar toten Haare, die noch dran sind, jucken schrecklich, und ich sehe unmöglich aus. Ich beschließe, nicht zu warten bis ich noch mehr Haare verliere, und rufe meine Tante Kristien an, um zu fragen, ob sie mit einem Rasierapparat vorbeikommen kann.
    Eine halbe Stunde später ist sie da. Maud steht auf und lässt uns allein.
    »Das ist ein richtig Guter, den hab ich mir gerade von Nikki geholt, die kenne ich noch aus meiner Zeit als Friseurin«, sagt Kristien.
    Sie und meine Mutter halten den Spiegel, ich drücke auf den Knopf. Wir sitzen am Küchentisch und starren alle drei auf meine Hände, die den Apparat vorsichtig, aber entschlossen über meinen immer sichtbarer werdenden Schädel führen.
    Nach wenigen Minuten ist es passiert. Ratzekahl. Ich finde es scheußlich, tröste mich aber damit, dass Demi Moore als GI Jane dasselbe getan hat und danach immer noch eine tolle Frau war. In den nächsten Wochen gehe ich jedem Spiegel in meiner Nähe aus dem Weg. Ich hasse meinen neuen Kopf, mit und ohne Perücke.

[home]
    Montag, 14. März 2005
    Genau sieben Wochen sind seit meiner ersten Aufnahme in Station C6 vergangen, und jetzt stehe ich wieder im Aufzug des OLVG , um mich zum zweiten Mal aufnehmen zu lassen. Das muss jetzt jeweils zweimal in neun Wochen geschehen, in der ersten und der siebten Woche. Zu den anderen Infusionen muss ich immer für ein paar Stunden in die Ambulanz, aber nur in der Anfangsphase – in den ersten neun Wochen –, danach noch ein paarmal für einen ganzen Tag. Ein komplizierter Behandlungsplan, von dem ich selbst noch nichts kapiere, aber die Ärzte haben’s nun mal gern ein bisschen verzwickt. Für andere Dinge bleibt wenig Zeit, denn ich muss viel ruhen und außerdem noch jeden Freitag zur Blutuntersuchung.
    Zus hat heute Geburtstag, sie wird fünfundzwanzig. Auch schon ein Vierteljahrhundert. Ich habe immer gewusst, wie lieb ich sie habe, aber wissen und spüren sind zweierlei. Jetzt spüre ich es auch, die ganze Zeit. Am stärksten, wenn sie sich um mich kümmert, aber auch wenn sie in ihr Studium der Kommunikationswissenschaft vertieft bei mir am Küchentisch sitzt.
    Freuen geht immer besser: Zähneputzen, Einkaufen, Anziehen, Fernsehen – gegen das Kranksein und vielleicht Sterben ist alles ein einziges großes Fest.
    Doktor L. kommt vorbei, um zu sehen, wie es mit den Nebenwirkungen und mit der Farbe meiner Wangen steht. Er sieht mich starr an, murmelt irgendetwas und kommt sofort zur Sache.
    »Spürst du schon ein Prickeln in Fingerspitzen und Zehen?«, fragt er. »Bei dem Vincristin müssen wir genau auf die Nebenwirkungen achten, denn von denen kriegst du eine ganze Menge.«
    Ich schüttle unbehaglich den Kopf. Aber seit Beginn der Chemo spüre ich Stiche im ganzen Körper. Als wäre meine Krankheit, erst seit ich den Kampf gegen sie aufgenommen habe, spürbar zum Leben erwacht. Allmählich frage ich mich, warum die C6-Insassen nicht Chemopatienten genannt werden statt Krebspatienten. Die Stiche vom Krebs und die Stiche vom Kampf gegen den Krebs sind schwer zu unterscheiden. Manchmal habe ich Angst, der Krebs könnte überall in meinem Körper sitzen, aber einer der Assistenzärzte von Doktor L. hat mir diese Angst, so gut es ging, ausgeredet. Schade, dass Doktor L. diese Gabe nicht auch hat.
    »Dein HB -Wert ist etwas zu niedrig« – Ärztejargon für »Du bist ein bisschen blass und schlaff« –, »deshalb gebe ich dir am Ende der Woche zwei Bluttransfusionen. Das ist zwar mit einem kleinen Risiko verbunden« – von eins zu einer Million – »aber mir sind Transfusionen lieber als EPO .«
    » EPO ?«
    »Ein Hormon, das die Bildung roter Blutkörperchen im Knochenmark stimuliert. Möglicherweise aber auch das Tumorwachstum.«
    »Oh – wie bei den Radrennfahrern?«
    »Ja, so ähnlich. Und wie steht’s mit dem Nachtschweiß?«
    Aha, Doktor L. steigert die Spannung. Einfach so, aus Gewohnheit. Seit Wochen hält der Tumorschweiß, der nur so aus mir herausströmt, meine Eltern in Atem. In den schlimmsten Nächten wird meine Bettwäsche dreimal gewechselt, mein T-Shirt fünfmal. Ich werde immer schwächer und magere durch den Flüssigkeitsverlust immer mehr ab. »Der wird immer weniger, aber heute Nacht war’s wieder ziemlich nass.«
    »Das ist nicht gut« – und was ist mit dem »immer
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