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Heute bin ich blond

Heute bin ich blond

Titel: Heute bin ich blond
Autoren: Sophie van der Stap
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die Sternbilder in Einklang zu bringen, spricht Annabel von zwei Sorten Zwillingen, solchen die etwas mehr Krebs und solchen, die etwas mehr Stier sind. Ich bin etwas mehr Krebs, glaube ich. Annabel studiert Marketing, ich Politologie. Wäre Annabel ein Mann, ich hätte mich Knall auf Fall in sie verliebt. Aber zu unserem Glück bin ich keine Lesbe. Annabel hilft mir Kleider aussuchen und meinen Geschmack entwickeln, und zwischen Missoni-T-Shirts und Balenciaga-Taschen sprechen wir über meine letzte Vorlesung zum Thema Solarenergie, über Inflation und Völkermord in der Dritten Welt. Tja, typisch, aber anders wollen wir’s nicht haben.
    Gemeinsam haben wir die Welt entdeckt. Als kleine Mädchen, als Teenager und jetzt mit Anfang zwanzig. Wir haben in der Dordogne Schnecken und im Hafen von Rungsted dänische Süßigkeiten gegessen. In Josephine Bakers französischem Schloss standen wir offenen Mundes unter einer Lampe, die voller Fledermäuse hing. In Dänemark am Meer haben wir zum ersten Mal mit Todesverachtung Algen gegessen, in einer Boutique in London haben wir unsere ersten hochhackigen Schuhe gekauft. Zweimal haben Annabel und ich einander für längere Zeit verlassen. Einmal als ich in Slippern in den Himalaya zog, und einmal, als Annabel sich für ein Praktikum in das Getümmel von New York stürzte. Sie war gerade wieder zurück, als uns das Wort Krebs plötzlich so nahe rückte. In New York hatte sie in einem kleinen, auf Brautkleider spezialisierten Modehaus gearbeitet. Im Dezember besuchte ich sie dort, um mit ihr Weihnachten und Silvester zu feiern. Da kam es uns schon komisch vor, dass sie bereits drei Blocks und zwei Starbucks weiter war, während ich mich noch die endlosen U-Bahn-Treppen hochschleppte. Und dass ich in der Silvesternacht schon um halb zwei genug hatte vom Feiern, obwohl ich einen unheimlich netten New Yorker vor der Nase hatte. Aber ich kam natürlich mit einer Visitenkarte nach Hause, die mich am Sonntagvormittag, dem Tag vor meiner Abreise, ins Mo MA führte, am Mittag ins Restaurant Pastis und am Abend zu einem Essen mit viel Rotwein. Wach wurde ich auf der Lower East Side in Manhattan, sehr früh, gegen sieben, und dann wollte ich sofort zu Annabel, die sich bestimmt schon Sorgen machte. Beim Aufwachen war das Abenteuer für mich vorbei, und ich suchte im Dunkeln nach meinen Kleidern. Um acht stand ich vor Annabels Tür, irgendwo zwischen Fifth und Sixth Avenue, nicht weit vom Union Square.
    Ohne Annabel wüsste ich nicht, was es heißt, eine wahre Freundin zu haben, eine, die in ihrem Bett am Noordermarkt spürt, dass ich in Neu-Delhi einsam bin. Eine, die nur einen Tick von dem entfernt ist, was in meinem Kopf wirklich vorgeht. Eine, die sofort gesehen hat, dass ich viel zu blass war. Eine, die mit ihrer überdimensionalen Orchidee in die Straßenbahn Linie sieben steigt, um mein Scheißzimmer ein bisschen wohnlicher zu machen.
    »Hallo, Süße!«, rufe ich enthusiastisch. »Sitzt meine Perücke schief?«
    Annabel wirft mir einen prüfenden Blick zu und lächelt. Dann rückt sie meine Haare zurecht.
    »Denkst du manchmal dran, dass ich vielleicht bald nicht mehr da bin?«
    »Ach Gott, was sind wir heute wieder unterhaltsam.« Sie setzt sich auf einen Stuhl neben meinem Bett und holt ihr Maniküreset hervor.
    »Ich will eben gern wissen, was der Gedanke mit dir macht.«
    »Ja.« Sie sieht mich an. »Ich wirke so robust, dabei bin ich jede Nacht in Barts Armen am Heulen.« Bart ist ihr Freund. »Aber solange noch Hoffnung besteht, versuche ich, nicht an das schlimmste Szenario zu denken.«
    »Ah.« Ein unangenehmes Mitleid beschleicht mich, aber ihre Worte tun mir ungeheuer gut. Je mehr sie um mich weint, desto mehr liebt sie mich. Annabel schafft es hervorragend, ihren Schmerz zu verbergen, sogar vor mir. »Wir waren immer zusammen«, sage ich.
    »Das bleiben wir auch.«
    »Noch zwei Wochen – gruselig, was?«
    »Bis zu deiner Untersuchung?«
    »Ja.«

[home]
    Donnerstag, 24. März 2005
    Ich schaue in den Spiegel, schaue Stella an, während der Mann hinter mir meine falschen Haare befühlt. Überall stehen weiße Ausstellungsköpfe mit Perücken. Annabel mustert sie eine nach der anderen mit gleichbleibender Konzentration. Es ist ein Gefühl wie früher beim Gemüsehändler, wenn wir als kleine Mädchen mit großen Augen die Himbeeren, Brombeeren und Blaubeeren betrachteten, um sie dann heimlich zu mischen.
    Wir sind heute in den Theaterladen gegangen, denn ich frage mich
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