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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman
Autoren: Gunter Gerlach
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eingeklagt werden sollte ...«
    Wegen der schönen Handschrift und des guterhaltenen, verzierten Siegels ist dieser Brief im Weinsteiner Heimatmuseum in einer Vitrine ausgestellt. (Nur deshalb!)
    Jakob glaubte, in dem Wasser des Flusses einen langen silberglänzenden Fisch zu sehen. Er blickte auf. Das Mädchen war, wie er es gehofft hatte, ebenfalls stehengeblieben, um über die Brüstung zu schauen.
    »Fisch?«
    »Möglich.«
    »Sie wissen nicht, was für ein Sternbild Sie haben?«
    Sie lachte zum ersten Mal.
    »Was ist eigentlich so gefährlich an mir?«
    »Sie sind ein Mann.« Es schien ihr als Erklärung ausreichend.
    »Das tut mir leid.«
    »Sollte es auch.«
    Der Hund war herangekommen und blieb jetzt an ihrer Seite. Sie schritt wieder schneller voran.
    »Und als Hund? Würden Sie mich akzeptieren?«
    »Hunde tun, was ich will.«
    »Dachte ich mir.«
    Die Straße machte eine Biegung nach links, gabelte sich. Eine Abzweigung führte zu dem sieben Kilometer entfernten Ehrenfelde. Der zweite, nach links zeigende Wegweiser war zerkratzt und übermalt. Jakob rekonstruierte das Wort »Herzensach«. Am Ende der Kurve reckte sich ein Kirchturm über hohe, ausladende Bäume, und zwischen Fliederbüschen wurden alte Fachwerkhäuser sichtbar. Und ihm kam der verlockende Gedanke vom einfachen und ruhigen Landleben.
    »Wo kann ich telefonieren?«
    Sie wies auf das erste Gehöft auf der linken Seite und blieb stehen. Es war offensichtlich, daß sie ihn nicht weiter führen wollte.
    Jakob bedankte sich, fragte noch einmal, ob er nicht doch eine Postkarte schreiben solle. Sie schüttelte den Kopf. Auch andere Vorschläge, ihr seine Dankbarkeit zu beweisen oder sie wiederzutreffen, führten bei ihr nur zu zusammengepreßten Lippen. Er hatte keine Chance. Nicht einmal ihren Namen hatte er herausbekommen. Schließlich bog sie ohne Gruß auf einen Feldweg ab. Nur der Hund sah sich noch einmal um.

2
    Unter den Bauern von Herzensach herrschte überwiegend die Meinung, Doktor Bernhard Andrees rechtes Ohr sei wesentlich größer als sein linkes. Zweifellos entsprang diese Beurteilung der Angewohnheit des Arztes, seine Patienten nicht anzusehen, sondern den Kopf nach links zum Fenster der Praxis zu drehen, den Besuchern auf der anderen Seite seines Schreibtisches also, wie bei einer Beichte, das rechte Ohr zu leihen.
    »Und welcher Art sind die Schmerzen?« fragte er. Der Blick aus seinem Fenster ging geradewegs auf den kleinen Laden von Dorothee Wischberg auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Frau des Wirtes hatte den ursprünglichen Zeitungskiosk mit der Lottoannahmestelle nach und nach vergrößert und zu einem kleinen Lebensmittelgeschäft ausgebaut.
    »So gelb mit einem Stich ins Bläuliche«, gab der Bauer zur Antwort.
    »Was?« fragte Doktor Bernhard Andree, ohne seinen Patienten anzusehen.
    »Die Schmerzen«, sagte der Bauer.
    Der Internist hielt sich weder für einen guten noch für einen schlechten Arzt. Was ihn auszeichnete, war seine Geduld mit den Patienten und entsprechend die Zeit, die er jedem von ihnen widmete, mehr, als er in der Regel den Krankenkassen in Rechnung stellen konnte.
    Vor fünfzehn Jahren hatte er dem Drängen seiner Frau nachgegeben, die wissenschaftliche Laufbahn aufzugeben und die Landarztpraxis zu übernehmen. Dabei waren seine Forschungen an der Universitätsklinik zur Technik des Verschließens von Operationsöffnungen hoch gelobt worden. Nach seinem Weggang triumphierten seine Gegner. Ein unbegabter Kollege führte seine Testreihen fort und stellte sie bald als erfolglos ein.
    Doktor Bernhard Andree wäre aufgrund seiner geringen finanziellen Mittel kaum der Gedanke gekommen, sich selbständig zu machen, doch seine Frau Heidelinde, Tochter des Brauereibesitzers Wulf, hatte aus ihrem Erbe alle Kosten für die Übernahme der Praxis in Herzensach bestritten. Seine Frau wurde dabei weniger von dem Idyll einer Landarztpraxis geleitet, sondern mehr von der Sehnsucht, an den Ort ihrer Geburt und Kindheit zurückzukehren. Gleichzeitig wollte sie den Motiven ihrer Bilder näher sein. Schon vor ihrer Eheschließung hatte sie in jeder freien Minute nichts anderes im Sinn, als Landschaften zu malen.
    Am Anfang ihrer Beziehung wetteiferten der Wissenschaftler und die Künstlerin noch um öffentliches Interesse und Ruhm miteinander. Obwohl sie beide erfolglos blieben, hatte Bernhard Andree in diesen wenigen Jahren durch Ausbreiten der Arme fliegen können. Es war ganz einfach gewesen. Aber es machte
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