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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman
Autoren: Gunter Gerlach
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liegt nahe, ist jedoch letztlich nicht beweisbar.
    Cornelius van Grunten jedenfalls kam nicht mehr in den Genuß seines Landbesitzes, dafür in den der Freifrau von Wachenberg. Die Unterhändlerin heiratete ihn (was zu Spekulationen Anlaß geben sollte) und hat ihm sicher das idyllische Herzensach wenigstens beschrieben. Wahrscheinlich hatte der Seemann es als Alterssitz auserkoren. Der Pirat wurde 1772 in Lissabon bei einem Landgang von einem Unbekannten erstochen. Die Spanier waren wohl seines Treibens in ihrem Namen müde gewesen und hatten einen Mörder gedungen. Sein Sohn Hendrik, beim Tod des Vaters gerade mal acht Jahre alt, wurde ebenfalls Seemann und setzte die Tradition seines Vaters fort. Die Meinung seiner Mutter Sophie dazu ist nicht überliefert. Mit achtundvierzig Jahren kehrte er zusammen mit einer wilden Horde aus der Karibik zurück und nahm das Tal in Besitz. (War die Mutter dabei?) 1812 baute er als erstes einen Wehrturm, der heute nicht mehr steht, und 1824 ein befestigtes Gutshaus.
    Auch wenn die Familie van Grunten es im letzten Jahrhundert gern anders darstellte, die Geschichte des Dorfes hatte lange vor dieser Zeit begonnen. Vermutlich lag bereits eine Germanensiedlung in dieser Biegung des Flusses. Die erste urkundliche Erwähnung stammt von 1612.
    Jakob Finn war noch nicht weit gegangen, als er plötzlich auf der anderen Straßenseite, in einem kleinen Birkenwäldchen, eine Bewegung wahrnahm. Ein Tier, vielleicht ein Reh, strich dort herum. Dann sah er zwischen den Blättern ein Stück gelbbraunes Fell, und gleich darauf trat ein etwa hüfthoher, kurzhaariger Hund unbestimmbarer Rasse zwischen den Birken hervor, setzte sich an den Straßenrand und beobachtete ihn mit bernsteinfarbenen, freundlichen Augen. Der Student schnalzte mit der Zunge, was den Hund allerdings nur veranlaßte, den Kopf ein wenig höher zu heben und ihn spöttisch anzusehen. Jakob Finn erinnerte die Haltung an eines seiner Kuscheltiere. Seine Eltern hatten ihn schon früh in ein deutsches Internat geschickt, und so war, bis in die Pubertät hinein, einer seiner wichtigsten Gesprächspartner ein abgewetzter Teddybär gewesen.
    Kurz nach dem Hund trat eine junge Frau aus dem Wald, die er im ersten Moment für einen Jungen hielt. Sie hatte sich geschickter und geräuschloser in dem Wäldchen bewegt als das Tier. Ihr hing das blonde, kinnlange Haar in dicken Strähnen übers Gesicht. Sie trug eine derbe blaue Bauernjacke über einem ausgeblichenen grünen Hemd. Die weite, ausgefranste Hose wurde mit einem Strick zusammengehalten. Die Sachen waren keineswegs sauber, so daß Jakob an eine Landstreicherin denken mußte, doch zugleich schien es eine Art Kostümierung zu sein.
    »Hallo«, rief er. Hund und Mädchen beobachteten ihn reglos und stumm.
    »Ich habe eine Panne«, versuchte er seine Anwesenheit auf der Straße zu erklären und wies mit der Hand zurück zu seinem Wagen. Es rief bei seinen beiden Beobachtern keine Reaktion hervor. Warum sollte sein Pech nicht anhalten und ihm eine Taubstumme mit einem blinden Hund schicken? (Wie ging noch mal die Zeichensprache?)
    »Wo ist das nächste Dorf? Ich brauche Hilfe.«
    Das Mädchen zog die Nase hoch und kaute auf der Unterlippe. Es sah zu dem Hund hinunter, dann wieder mißmutig zu dem Fremden. Der Hund erhob sich und trottete langsam über die Fahrbahn, um ihn zu beschnuppern. Jakob bestand die Prüfung, das Tier setzte sich dicht zu seinen Füßen. Das Mädchen zuckte mit den Achseln und folgte dem Hund, wobei sie den Fremden nicht aus den Augen ließ, als erwarte sie einen Angriff.
    »Gibt es hier ein Dorf?«
    Das Mädchen reagierte nicht.
    Vielleicht konnte sie tatsächlich nicht sprechen. Er wollte sie nicht beleidigen und formulierte in Gedanken eine entsprechende Frage, als sie plötzlich den Mund öffnete und ja sagte. Er begriff, daß dies eine Prüfung war.
    »Und wo?« fragte er.
    Sie blieb stumm, prüfte noch immer.
    Er versuchte seinen Unfall und den Schaden am Wagen zu erklären. Schließlich fiel ihm ein, daß es wohl richtig wäre, sich vorzustellen, und er nannte seinen Namen, seinen Herkunftsort, sein Studienfach, bis er etwas ratlos innehielt und lachen mußte.
    »Entschuldigung, aber ich komme mir so komisch vor.«
    Ihre einzige Reaktion war ein noch finsterer Ausdruck. (Er war also nicht komisch.) Dann zuckte sie mit dem Kopf nach links und sagte knapp: »Da lang.«
    Sie ging voraus. Der Hund schloß sich an, blieb aber im Lauf des Weges immer weiter
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