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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman
Autoren: Gunter Gerlach
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zurück. Jakob beobachtete die junge Frau von der Seite, schätzte ihr Alter auf etwa zwanzig Jahre und entdeckte unter ihrem finsteren Blick eine hübsche, schmale Nase und einen außergewöhnlichen Mund, dessen Winkel wohl von Natur aus einen leichten Schwung nach oben hatten wie bei einem dünnen Lächeln (hauchdünn). Ein vollkommen düsterer Ausdruck würde ihr deshalb nie gelingen. Sie gefiel ihm.
    »Wie weit ist es?«
    »Nicht weit.«
    »Ist das Ihr Hund?«
    »Nein.«
    »Wie heißt der Ort?«
    »Herzensach.«
    »Wie?«
    »Sie haben es schon richtig verstanden.«
    Dies war die Unterhaltung auf dem ersten Kilometer. Jeder andere hätte aufgegeben, doch Jakob amüsierte sich über ihre Wortkargheit, über ihr abweisendes Verhalten und versuchte sie weiter zu provozieren.
    »Wohnen Sie da?«
    »Möglich.«
    Er ging schneller, um direkt neben sie zu kommen, ihr ins Gesicht zu sehen, doch auch sie beschleunigte den Schritt, so daß es fast zu einem Wettrennen ausartete. Er war sich nicht sicher, ob es ihre abwehrende Haltung war oder die Entdeckung ihrer Schönheit, was in ihm den Wunsch reifen ließ, sie unbedingt für sich einzunehmen.
    »Gibt es da, in diesem ... gibt es da eine Tankstelle?«
    »Nö.«
    »Wie groß ist denn der Ort?«
    »Klein.«
    Die Straße stieg jetzt leicht an, bildete einen Damm, der auf eine Brücke mit steinernem Geländer zuführte.
    »Kommt da ein Fluß?«
    »Blöde Frage.«
    »Wie heißt der?«
    Als Antwort drehte sie ihren Kopf leicht, und er bekam einen genervten Blick.
    »Sie sind nicht sehr gesprächig, was?«
    »Hören Sie zu«, sagte sie scharf und blieb stehen, »wenn Sie mit mir anbändeln wollen: Ich bin nicht die richtige Person dazu.«
    »Ich wollte nur freundlich sein.« Er zog aus Spaß den Kopf etwas ein, als erwarte er einen Schlag, und grinste sie an. »Ich bin Ihnen ziemlich ausgeliefert.«
    Sie schwieg, und er war sich nicht sicher, ob es nicht doch ein Lächeln war, das ihre Mundwinkel willentlich herstellten.
    »Außerdem«, beeilte er sich hinzuzufügen, »habe ich keine andere Absicht, als mich abschleppen zu lassen.«
    »Genau das dachte ich mir.«
    Er wurde sich des Doppelsinns bewußt. »Ich meine das anders.«
    »Umgekehrt?«
    Er lachte. Sie ging schneller.
    »Danach werde ich auf Nimmerwiedersehen aus Ihrem Leben verschwinden.«
    »Sicher.«
    Alles ergab einen anderen Sinn. Sie reizte ihn. Er hatte noch nie ein Mädchen kennengelernt, das so kühl und abwehrend gewesen war. Wieder mußte er sich bemühen, mit ihr Schritt zu halten. Er würde schon herausfinden, wer sie war. »Wenn Sie mir Ihren Namen sagen, schreibe ich Ihnen, wenn alles erledigt ist, eine Postkarte als Dank. Oder meinetwegen auch, damit Sie erkennen können, wie groß die Entfernung zwischen uns ist.«
    »Ha!«
    »Sie haben mich durchschaut.«
    »Männer!«
    Sie hatten die Brücke erreicht. Jakob blieb stehen und beugte sich über das Geländer, um in den etwa zwei Meter breiten, von Schilf umsäumten Fluß zu sehen, dessen klares, sprudelndes Wasser unter dem dunklen Bogen der Brücke verschwand. Der obere Teil der Brücke bestand aus einer modernen Betonkonstruktion, in die man das alte Geländer aus Naturstein eingepaßt hatte. Die Fundamente stammten aus früheren Zeiten. Es ist allerdings nie untersucht worden, ob es noch jene Steine sind, aus denen Hendrik van Grunten einst die Brücke errichten ließ. Auf jeden Fall geht der Bau dieser sowie der zweiten Brücke am anderen Ende des Dorfes auf ihn zurück. Vorher hatte es eine nur im Sommer gut passierbare Furt in der Herzensach gegeben. Die Landstraße nach Weinstein führte ursprünglich nicht durch Herzensach, sondern über den Heidberg. Hendrik van Gruntens Brücken- und Straßenbau sorgte für eine kürzere und bequemere Strecke. Er ließ sich von den Kaufleuten die Durchfahrt bezahlen. Zwar führte er selbst nie darüber Buch, aber aus alten Handelsabrechnungen, die heute im Archiv des Weinsteiner Heimatmuseums liegen, gehen diese Abgaben hervor. Es gibt sogar einen Brief des damals bedeutenden Handelsherrn Farianus, in dem er die Machenschaften Hendrik van Gruntens anprangerte, beispielsweise nicht nur bei der ersten Brücke einen Wegzoll zu kassieren, sondern auch bei der zweiten: »... so ist bei allen befahrenen Wegen Hendericus van Gruntens doppelter Wegzoll als etwas Räuberisches, den privilegierten Ständen dem einfachen Handelsmann gegenüber kaum Würdiges anzusehen, das bei entsprechend höherer Amtsstelle einmal von uns
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