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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman
Autoren: Gunter Gerlach
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sich auf den Vortrag zu konzentrieren. Einerseits ging ihm die vorhin erlebte Szene auf dem Bauernhof nicht mehr aus dem Sinn, andererseits wurde es allmählich Abend, und ein Abschleppunternehmen war noch nicht beauftragt. Der Student begann sich deutlich für die Farbe der Decke zu interessieren.
    Der Wirt – gerade bei der Behauptung, daß man sich einen Sport daraus mache, Wegweiser nach Herzensach zu entfernen, um ausschließlich sein Geschäft zu schädigen – bremste seine Wut.
    »Sicher, sicher, Sie wollen telefonieren. In Weinstein gibt es ein Abschleppunternehmen.« Er legte die Fliegenklatsche aus der Hand, griff unter die Theke und brachte ein Telefonbuch hervor. »Ich suche es Ihnen heraus.«
    Während er mit einer Hand blätterte, schob er ihm mit der anderen den Telefonapparat zu. Dann wies er mit dem von Tinte, Obstsaft oder Stempelfarbe blauen Daumen auf eine Nummer.
    Jakob wählte und bekam eine Verbindung, doch die Frauenstimme am anderen Ende ließ ihn gar nicht ausreden, sondern stellte zu einem anderen Apparat durch. Während er wartete, betrachtete er die Gaststube, ein Imitat bäuerlicher Gemütlichkeit, deren Möbel zum größten Teil aus gepreßtem Plastik bestanden. Die Einrichtung war wahrscheinlich vor noch nicht allzu langer Zeit erneuert worden. Hinter der langen, polierten Messingplatte des Tresens erhob sich als Prunkstück ein gläserner Schrank voller bunter Flaschen, über dem sich ein Messingrundbogen wölbte mit der gestanzten Inschrift: »Herzensacher Liköre – ein Begriff«. Jakob war dieser Name noch nie begegnet. Der Schrank ließ allerdings auf Heerscharen genüßlicher Likörtrinker schließen.
    Ein Knacken im Hörer kündigte die Verbindung an, um gleich darauf in das Lachen eines Mannes überzugehen.
    »Sie hatten einen Unfall? Was Sie nicht sagen!«
    »Mein Wagen steht kurz vor Herzensach auf der Landstraße. Ich brauche einen Abschleppwagen.«
    Der Mann lachte wieder. »Einen Abschleppwagen braucht er!« Er schien mit jemand anderem zu sprechen.
    »Hören Sie, das ist kein Witz.«
    »Sie werden lachen, es ist einer. Was meinen Sie, womit wir beschäftigt sind? Auf der Autobahn hat es einen Auffahrunfall mit rund sechzig Pkws gegeben und nebenbei einigen Toten. Wir sind die nächsten fünf oder sechs – was sage ich: acht Stunden damit beschäftigt, dort aufzuräumen. Und hören Sie, Sie brauchen gar kein anderes Unternehmen anzurufen. Die sind alle dort im Einsatz.«
    Jakob versuchte herauszufinden, ab wann ihm geholfen werden könnte, doch der Mann wollte sich nicht festlegen.
    Der Student unterbrach kurz das Gespräch.
    »Kann ich hier übernachten?« fragte er den Wirt, und dieser nickte. Er nannte dem Abschleppunternehmen die Adresse des Gasthofs und legte auf.
    Der Wirt zog sich am Treppengeländer mit beiden Händen in den ersten Stock hinauf. Zweimal jedoch mußte er mit einer Hand unter den Oberschenkel seines lahmen Beins fassen, um es auf die nächste Stufe zu befördern. Keines der sechs Fremdenzimmer im oberen Stock war belegt, und Jakob wählte eines der größeren aus. Der Einbau von Dusche und WC hatte im Eingangsbereich zwar einen schmalen Flur entstehen lassen, doch danach öffnete sich ein weiter, heller Raum zur Straße. Ausgestattet mit einem breiten Doppelbett, zwei Polstersesseln vor einem kleinen Couchtisch und einem in der Fensternische untergebrachten schmalen Schreibtisch. Lautstark stritten sich Muster und Farben der Polster und des Teppichs, doch wenigstens die Tapete versuchte mit einem warmen Ockerton für Ruhe zu sorgen. In den anderen Zimmern zogen dagegen auch die Wände mit weiteren Mustern in den Kampf um die Vorherrschaft.
    Der Wirt versprach, jemand zu finden, der den Studenten zu seinem Wagen fahren würde, um seinen Koffer zu holen, und ließ ihn allein.
    Jakob Finn schloß die Tür, öffnete das Fenster und legte sich auf das Bett. Die Geräusche des Dorfes drangen herein: Ein Hahn krähte, in einem Schweinestall herrschte quiekende Aufregung, das Geläut einer Herde, zwitschernde Vögel, und etwas weiter weg, aber doch deutlich, war das Klappern von Pferdehufen zu hören. Es war so perfekt, daß es aus den Lautsprechern eines Plattenspielers hätte kommen können. Nur die Biene, die sich in das Zimmer verflog, war augenscheinlich echt. Sie fand aber schnell in die Freiheit zurück. Das friedliche Bild eines weltabgewandten, verträumten Dorfes.
    Warum war er nicht gleich zum Gasthof gegangen? Er versuchte sich das Ereignis
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