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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman
Autoren: Gunter Gerlach
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auf dem Bauernhof in Erinnerung zu rufen. Es erschien ihm jetzt wie eine Szene aus einem dieser lächerlichen drittklassigen Pornofilme, die vorzugsweise auf dem Lande spielen.
    Von der Dorfstraße hatte ein kurzer Sandweg zu dem Bauernhof geführt. Rechts und links zwei Stallgebäude, teilweise aus Holz, eines davon schief. Am Ende des Weges das Wohnhaus mit moosigem Reetdach und verzogenem Fachwerk. Davor ein aufgerissener lehmiger Platz mit tiefen Radspuren, in denen Wasser stand. Jakob war über die Pfützen bis vor die Tür des Wohnhauses gesprungen, als ihn ein Geräusch herumfahren ließ.
    Die Szene hatte sich in Sekundenbruchteilen abgespielt. Und er fragte sich jetzt, ob alles vielleicht eine Art Traum, eine Halluzination gewesen war, zurückzuführen auf eine Fehlschaltung seiner durch den Unfall und die Erinnerung an den Flugzeugabsturz überreizten Nerven. Ein Psychologe hätte ihm sicher erklären können, warum es in seinem speziellen Fall früher oder später zu solchen Trugbildern hatte kommen müssen. Es konnte nicht Wirklichkeit sein, wenn eine Frau aus einer Scheune lief, nackt, schreiend (oder hatte sie gelacht?), mit angstvollen Augen und einem abgerissenen Strick um den Hals, als hätte man sie gerade hängen wollen. Es konnte nicht Wirklichkeit sein, daß ihr ein, Reitstiefel und lederne Schürze ausgenommen, ebenso nackter Mann folgte, der eine Peitsche schwang und ihm, dem ahnungslosen Fremden, einen Blick voll Blutdurst und Mordgedanken entgegenschickte.
    Es konnte nicht Wirklichkeit gewesen sein.
    Der Student sprang vom Bett auf, ging zum Fenster, atmete tief ein und beugte sich hinaus. Vor dem Haus stand ein Mann in der Kleidung eines Försters und lächelte zu ihm herauf.

4
    »Der Wald«, sagte Förster Johann Franke, »lehrt uns, jeden Augenblick so zu nehmen, wie er gegeben. Der Wald ist den Menschen das große Gleichnis. Für jedes unserer Probleme weist er auf eine Lösung. Aber es bedarf wohl erst eigener leidvoller Erfahrung und eines daraus resultierenden Rückzugs in die Einsamkeit der Natur, um solche Erkenntnisse zu haben.«
    Jakob Finn betrachtete den Förster von der Seite, während der den Blick nicht von der Straße nahm, und glaubte, ein ironisches Blitzen in dessen Augen wahrzunehmen. (Es war aber sicher Einbildung.)
    Zufällig war Johann Franke an der Gastwirtschaft vorbeigekommen und hatte sich angeboten, Jakob Finn in dem offenen Geländewagen mitzunehmen, damit der Student sein Gepäck aus seinem Auto holen konnte. Der etwa Fünfzigjährige war ein Förster wie aus dem Bilderbuch – mit einem silbergrauen und sorgfältig gestutzten Schnauz- und Kinnbart, zahllosen Fältchen um die strahlend blauen Augen und einem grünen Hut, in dessen Band bunte Federn steckten. (Die Ähnlichkeit mit der Beschreibung einer gewissen Vogelart ist rein zufällig.)
    »Wenn Sie Zeit und Lust haben, fahren wir auf dem Rückweg über den Heidberg, und ich zeige Ihnen, was ich meine. Ich nehme es Ihnen nicht übel, wenn Sie es für die spinnerten Gedanken eines alten Mannes halten, der zuviel allein ist.«
    Jakob war es angenehm, dem Mann zuzuhören. Auf geheimnisvolle Weise nahm er ihm das Denken ab.
    »Der Mensch ist ein Teil der Natur.« Er wollte dem Förster gefallen und erklärte ihm, daß er auf der Suche nach einem geeigneten Mischwald für seine Doktorarbeit sei. Johann Franke hob die Augenbrauen, und der Student mußte sich eine Reihe detaillierter Fachfragen gefallen lassen. Er bestand die Prüfung.
    Sie erreichten die Unfallstelle. Jakob stieg aus, um sein Gepäck zu holen. Als er zurückkam und den Koffer auf die hintere Sitzbank hievte, konnte sich der Förster eine Anspielung auf den teuren Wagen nicht verkneifen.
    »Man lebt heute gut als Student?«
    Jakob Finn lächelte. »Leider ist mit meinem Wohlstand eine traurige Geschichte verbunden. Meine Eltern sind tot, und ich bekomme aus ihrem Vermögen, solange ich studiere, monatlich eine stattliche Summe. Zweifellos zuviel Geld für einen Studenten. Ich studiere deshalb auch schon länger als notwendig. Das Vermögen selbst wird mir nämlich, so haben meine Eltern es bestimmt, erst nach meiner Heirat übertragen. Es heißt ja, daß der Mensch erst dann vernünftig wird.« Er lachte. »Das dürfte Ihnen gefallen.«
    Ein Anflug von Trauer zeichnete sich im wettergebräunten Gesicht des Försters ab, doch gleich darauf lächelte er wieder und reagierte wie erwartet: »Es ist das Beispiel des Waldes. Der Baum, der fällt, vergeht
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