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Herzen aus Asche

Herzen aus Asche

Titel: Herzen aus Asche
Autoren: Narcia Kensing
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sich diesen Schritt niemals getraut hätte, neidete sie ihn ihrer Freundin ein kleines bisschen.
    »Und wie sehen deine Pläne aus? Gehst du ins Wohnheim?« Man merkte Marie deutlich an, dass sie sich nun Mühe gab, ihre Freude ein wenig zurückzuhalten. Vermutlich hatte sie bemerkt, dass Amelies Lächeln mehr gequält denn ehrlich war.
    »Nein, das ist zu teuer. Ich ziehe in mein altes Ki nderzimmer zurück.« Amelie hatte nicht beabsichtigt, Bitterkeit in ihre Stimme zu legen, aber es gelang ihr nicht vollständig. »Oder ich suche mir einen neuen Mitbewohner. Vielleicht gibt es auch ein bezahlbares Apartment am Stadtrand, mal sehen. Ist die Zeitung heute eigentlich schon gekommen?«
    Marie wuchtete ihren drallen Körper vom Teppich. »Ich weiß nicht, ich war noch nicht am Briefkasten. Möchtest du die Wohnungsanzeigen durchforsten?«
    »Ich mache mir keine große Hoffnung, aber ich würde es dennoch gerne versuchen.«
    »Ich wollte den letzten Karton eh nach unten in den Hausflur bringen. Bei der Gelegenheit sehe ich nach, ob die Zeitung schon da ist.« Marie wandte sich ab und nahm mit einem Ächzen die Umzugskiste vom Boden auf. Amelie öffnete ihr die Wohnungstür und sah ihrer Freundin hinterher, wie sie um den ersten Treppenabsatz bog.
    »Soll ich dir beim Tragen helfen?«
    »Nein, nein, ich komme schon klar«, hallte Maries Stimme durch den Flur. Amelie hörte noch eine Weile auf ihre schweren Schritte, die unterhalb der zweiten Etage allmählich verhallten. Sie wandte sich von der Tür ab, ließ sie jedoch einen Spaltbreit offen stehen. Es war seltsam still und leer in der Wohnung. Marie hatte die Möbel aus ihrem Zimmer im Laufe der letzten Wochen fortgeschafft, entweder verkauft oder eingelagert. Zuletzt hatte sie nur noch in einem Schlafsack auf einer Luftmatratze geschlafen. Auch Amelie hatte wohl oder übel damit begonnen, ihre Habseligkeiten auszusortieren. Sie konnte sich nur schwer von Altem trennen, doch wenn sie tatsächlich zurück in die kleine Eigentumswohnung ihrer Mutter ziehen musste, würde sie für all den Krempel keinen Platz mehr haben. Unglaublich, was sich in nur zwei Jahren alles angesammelt hatte! Gemälde, Skulpturen, Trödel jedweder Art. Amelie seufzte, als sie darüber nachdachte, die Dinge bald in Kartons packen zu müssen.
    Sie hörte, wie die Wohnungstür knarrend au fschwang und drehte sich um. Marie erschien auf der Schwelle, unter dem Arm hielt sie einen Stapel mit Werbeprospekten und dem kostenlosen Wochenanzeiger.
    »Zeitung ist gekommen.« Sie legte ihre Last ma ngels Alternative auf den Teppich. Die Kommode im Flur hatte sie schon letzte Woche abholen lassen. Marie warf ihrer Freundin ein trauriges Lächeln zu, breitete die Arme aus und legte sie um Amelies knochige Schultern.
    »Meine Schwester ist schon da, ich habe sie unten am Briefkasten getroffen. Ich fürchte, ich muss mich jetzt von dir verabschieden.«
    Amelie sog den fruchtigen Duft ihres Parfüms ein. Sie umarmte ihre Freundin herzlich. Sie gab sich Mühe, die Träne, die sich in ihren Augenwinkel drängen wollte, zu unterdrücken.
    »Halt die Ohren steif, Amelie. In ein paar Monaten bin ich wieder da.« Sie löste die Umarmung und seuf zte.
    »Hoffentlich sprichst du nicht mit einem so grauenha ften Akzent, wenn du wiederkommst.« Amelie rang sich ein Lächeln ab.
    » Sei nicht albern. Ich habe nicht vor, dort mein Leben zu verbringen.« Marie versuchte, die Stimmung mit einem verschmitzten Grinsen aufzulockern, aber es wollte ihr nicht recht gelingen.
    »Ich wünsche dir alles Gute, ein tolles Auslandsseme ster, nette Kollegen und viele schöne Erfahrungen.« Amelies Stimme klang ein wenig zittrig. Sie gönnte ihrer Freundin von Herzen ihre Freude, nichtsdestotrotz konnte sie die Traurigkeit über ihre eigene trostlose Zukunft nicht unterdrücken.
    Marie klopfte ihr noch einmal auf die Schulter, ehe sie sich abwandte. Amelie begleitete sie noch zur Wo hnungstür und winkte ihr hinterher, als sie die Treppen hinab stieg. Als sie außer Sichtweite war, stellte Amelie sich ans Fenster im Flur. Sie beobachtete, wie Marie drei Stockwerke tiefer den letzten Karton in den Kofferraum des alten Fords ihrer älteren Schwester lud und auf der Beifahrerseite einstieg. Nur wenige Atemzüge später fuhren sie aus der Einfahrt. Amelie war zum Heulen zumute. Einen Moment lang dachte sie darüber nach, Sara anzurufen, doch die quirlige Stimmungskanone war nicht das, wonach Amelie nun der Sinn stand. Sie wollte sich
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