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Herzen aus Asche

Herzen aus Asche

Titel: Herzen aus Asche
Autoren: Narcia Kensing
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wenigstens eine Weile lang in Selbstmitleid vergraben. Sie nahm den Papierstapel vom Teppich und sortierte die Prospekte. Als sie die Zeitung aufschlagen wollte, fiel eine Karte heraus und segelte zu Boden. Es war eine Postkarte, schlicht weiß und mit Hand beschrieben. Amelie hob sie auf und betrachtete sie von beiden Seiten. Die eine Seite war unbeschrieben, die andere mit blauer Tinte in einer schwungvollen und gleichmäßigen Handschrift versehen. Es standen nur zwei Sätze darauf.
    Für ein historisches Anwesen im kleinen Dorf Länna, zwa nzig Kilometer vor Uppsala, suche ich einen Bewohner, der das Gebäude vor dem Verfall bewahrt und regelmäßig heizt. In diesem Fall mietfrei, ab sofort.
    Darunter stand eine Telefonnummer. Amelie las den Text immer wieder. Wollte Marie oder einer ihrer and eren Freunde sich einen Scherz mit ihr erlauben? Niemand ließ einen Fremden kostenfrei in einem wertvollen alten Haus leben! Die Handschrift kam Amelie gänzlich unbekannt vor. Wie viele dieser Karten hatte der Verfasser geschrieben? Das musste eine Menge Arbeit gewesen sein! Hatte die Sache einen Haken? Ihre Hände zitterten. Es klang verlockend, doch alle Alarmglocken in ihrem Kopf schrillten. Zu oft hatte man schon davon gelesen, dass ahnungslose Frauen auf diese Weise in eine Falle gelockt wurden. Andererseits ... Anrufen würde doch nicht schaden, oder? Es handelte sich um keine kostenpflichtige Hotline, sondern um eine normale Handynummer. Zudem konnte Amelie - sollte sich das Angebot als verlockend herausstellen - ihre Mutter oder einen Freund zur Besichtigung mitbringen. Vermutlich hatten vor ihr ohnehin schon hunderte Leute angerufen, und derlei Gedanken waren überflüssig.
    Amelie kramte in ihrer Handtasche nach ihrem Ha ndy. Minutenlang starrte sie auf die Tastatur, ohne eine Zahl getippt zu haben. Ihr Herz raste. Sollte sie es tun, oder die Sache lieber vergessen? Neben ihren Füßen lag noch immer der Stadtanzeiger. Vielleicht sollte sie lieber nach einem seriösen Wohnungsangebot suchen, anstatt auf einen handgeschriebenen Flugzettel zu reagieren. Für die Dauer eines Wimpernschlags spielte Amelie mit dem Gedanken, zuerst ihre Mutter anzurufen und um Rat zu fragen, doch sie verwarf die Idee sogleich. Inger Ivarsson galt als stadtbekannt, was ihre Überempfindlichkeit bezüglich der Sicherheit ihrer Tochter anging, zudem würde sie alles tun, um Amelie wieder in die kleine Wohnung zu holen, wo sie sicher und fern von der schlechten Welt unter Beobachtung stand. Nein. Das wollte Amelie in keinem Fall. Nur, weil ihre Mutter in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen - insbesondere mit der Männerwelt - gemacht hatte, wollte sie nicht unter ihrer Obhut stehen, bis sie alt und grau war.
    Amelie wählte deshalb zuerst die Telefonnummer von Sara. Es klingelte. Immer wieder. Aber ihre Freundin hob nicht ab. Wo trieb sie sich an einem gewöhnlichen Mit twoch Nachmittag herum? Die Prüfungen des letzten Semesters lagen längst hinter ihnen und eigentlich sollten die Studenten ihre freie Zeit in vollen Zügen genießen. Nun, vermutlich besuchte Sara ihren Freund Mikael in der Autowerkstatt. Oder die beiden waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um ans Handy zu gehen ...
    Resigniert legte Amelie auf. Sie strich sich nervös mit dem Handrücken über die Stirn und lief im Flur auf und ab. Wieder las sie die Karte. Sie atmete einmal tief durch und gab sich einen Ruck. Was hatte sie zu verlieren? Wer auch immer am anderen Ende abnahm, würde sie wohl kaum durch das Telefon hindurch umbringen.
    Es klingelte. Einmal. Zweimal. Dann hob jemand ab. Amelie hielt die Luft an.
    »Leif Eriksson, ja bitte?« Eine männliche Stimme. Nett, ruhig und allem Anschein nach noch recht jung.
    »Mein Name ist Amelie Ivarsson, ich habe Ihre Karte in meinem Briefkasten gefunden.« Sie machte eine Pause, um Luft zu holen, doch der Mann am anderen Ende riss das Gespräch an sich.
    »Tatsächlich? Sie sind die erste, die deswegen a nruft. Sind Sie interessiert? Suchen Sie eine neue Bleibe? Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn Sie vorbeikommen und sich mein Haus ansehen könnten. Sie müssen wissen, ich bin schon sehr verzweifelt, weil ich niemanden finde.«
    Sein Redefluss verwirrte Amelie. Herr Eriksson e rweckte ebenfalls den Eindruck von Nervosität, was ihn äußerst sympathisch machte.
    »Ich bin tatsächlich auf der Suche nach einer Unte rkunft. Wie vielen Haushalten haben Sie die Karte in den Briefkasten geworfen? Ich kann kaum
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