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Herz ueber Bord

Herz ueber Bord

Titel: Herz ueber Bord
Autoren: Gabriele Diechler
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Schon gar nicht allein und erst recht nicht über Millionen Liter Nordseewasser hinweg, um anschließend auf der wahrscheinlich viel zu kurzen Landebahn dieser winzigen – exakt ausgedrückt: achtundsiebzig Quadratkilometer kleinen – Insel aufzusetzen. Dass es zunächst nach Stansted ging und erst nach einer kleinen Verschnaufpause von London-Gatwick aus weiter nach Guernsey, war für mich nur ein schwacher Trost. Okay, die Flugzeiten waren auf diese Weise jeweils einigermaßen erträglich kurz, dafür verdoppelten sich sowohl der Start als auch die Landung und damit erhöhte sich natürlich das Gesamtrisiko.
    Â»Flugzeugunglücke sind absolut selten«, hörte ich Sina sagen.
    Â»Aber sie passieren«, war mein unschlagbares Gegenargument.
    Â»Okay, wenn es dir passieren sollte, befolgst du einfach konsequent alle Sicherheitsanweisungen der Stewardessen und des Flugkapitäns«, riet sie mir. »Dann machst du die Augen zu und denkst an mich oder an Frederiks Hintern.«
    Â»Oh nein«, murmelte ich, »das werde ich nicht tun. Ich werde hyperventilieren und schnellstens in Ohnmacht fallen, damit ich so wenig wie möglich von allem mitbekomme.« – Gratuliere Elodie, wenn das mal keine schnelle Entscheidung war!
    Ich grinste in mich hinein, und als ich schließlich aus meiner Gedankenwelt in die Realität zurückkehrte, blickte ich in das genervte Gesicht einer Ryanair Groundhostess, die auf eine leere graue Plastikwanne vor mir auf dem Transportband deutete.
    Ãœberraschenderweise passierten Rucksack, Jacke und Gürtel und sogar ich selbst die magische Schwelle der Sicherheitszone ohne irgendwelche Komplikationen. Ich war mir allerdings nicht sicher, ob ich mich darüber freuen sollte, denn jetzt gab es kein Zurück mehr.
    Mam und Sina saßen inzwischen wahrscheinlich längst wieder im Auto und würden mich bis zum Spätsommer mehr oder weniger aus ihrem Leben streichen. Ab sofort gab es nur noch E-Mails, Skype, Facebook, SMS und Telefonate. Oh Mann, wie sollte ich das bloß überleben? Hier und jetzt in der Abflughalle neigte ich spontan dazu, mich für geheilt zu erklären. Ich war nicht mehr traumatisiert. Ich wusste sehr wohl, wie ich mit Pas Tod zurechtkam. Und ich wusste auch, was ich mir von der Zukunft erwartete. Ich war ungeheuer zielgerichtet. Ha! Nein, verdammt, genau das war ich eben nicht! Und deshalb beschloss ich ein für alle Mal, das Risiko einzugehen und mich der Herausforderung zu stellen, damit ich nicht womöglich etwas wirklich Wichtiges in meinem Leben verpasste.
    Â»Wenn du tot bist, ist dir eh alles egal«, hörte ich Sina sagen.
    Â»Ja, ich weiß«, musste ich ihr diesmal recht geben. Wie sollte ich ihr auch erklären, dass manche Sachverhalte im selben Augenblick, in dem sie auf mich trafen, ihre Allgemeingültigkeit verloren?
    Â»Ist schon klar«, erwiderte Sina und grinste. »Du bist Elodie Saller, siebzehn Jahre alt, traumatisiert und die einzige Person auf diesem Erdball, an dem sich selbst das Chaos die Zähne ausbeißt.«
    Â»Danke, Sina, ich liebe dich«, murmelte ich, während ich mich neben einer fülligen Frau in eine gelbe Plastiksitzschale fallen ließ.
    Ich seufzte ein bisschen, dann kramte ich mein Handy hervor und stellte fest, dass seit meiner tränenreichen Verabschiedung von Mam und Sina sechs Kurznachrichten eingegangen waren. Warum zum Teufel hatte ich das nicht gemerkt? Ich checkte die Signaltoneinstellungen, konnte aber keinen Fehler feststellen – wer mich kannte, wusste, dass das nicht unbedingt etwas zu bedeuten hatte – und widmete mich den SMS. Sie waren – NATÜRLICH! – allesamt von Sina und lauteten:
    Ich liebe dich!
    Ich vermisse dich!
    Kopf hoch! Du wirst es überleben!
    Ich auch!!!!!!!!!!
    Ganz viele liebe grüße von deiner mutter. Sie sagt: kopf hoch! ;-)
    Alles klar bei dir?
    Das weiß ich erst, wenn ich angekommen bin, schrieb ich zurück und schaltete das Handy aus. Sicher war sicher.

    Nachdem ich eine gute Viertelstunde neben der fülligen Frau gesessen, den Leuten beim Herumwuseln zugesehen und dabei wieder an Frederik und meine Abschiedsparty gedacht hatte, fing ich an, unruhig zu werden. Nicht, dass ich es nicht die ganze Zeit über schon gewesen wäre, aber dies war nun eine neue Stufe von Nervosität, die es mir unmöglich machte, noch eine Sekunde länger in meiner Sitzschale zu
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