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Herz in Not

Titel: Herz in Not
Autoren: Mary Brendan
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Gestalt, die auf dem Friedhof zurückgeblieben war. Ein berechnendes Lächeln huschte über ihre groben Gesichtszüge, als der stattliche Mann zum Kiesweg ging. Sie blickte ihm nach, bis er das Friedhofstor hinter sich geschlossen hatte. Dann konzentrierte sie sich auf die schlanke junge Witwe neben dem Geistlichen. Hasserfüllt verzog die Frau ihren Mund, wickelte sich fester in ihren warmen Mantel und bahnte sich vorsichtig den Weg über das eisglatte Gras. Die erstaunten Blicke der beiden Totengräber kümmerten sie nicht. Auf ihre Schaufeln gelehnt, beobachteten die beiden Männer, wie sich die Frau über das offene Grab beugte, und warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu, als sie unter leisem Fluchen mit der Stiefelspitze wütend die aufgehäufte Erde in das offene Grab schob. Dann wandte sie sich mit einer theatralischen Geste ab und hastete quer über die Felder davon.
    „Hier, der Glühwein wird dir gut tun“, drängte Laura Grayson.
    Victoria lächelte die Freundin dankbar an. Verstohlen behielt die junge Witwe jedoch die Tür im Auge, suchte unter den bekannten Gesichtem nur nach dem einem, das sie so lange nicht gesehen hatte.
    „Deiner Tante Matty scheint es ja gut zu gehen“, spöttelte Laura über Victorias Tante Matilda, die gerade den Salon betrat und - in jeder Hand ein Glas Glühwein - sofort auf das Kaminfeuer zusteuerte.
    Wehmütig lächelnd sah Victoria zu dem alten Gentleman hinüber, der nahe am Feuer saß. „Würdest du meinem Vater ein wenig Gesellschaft leisten, Laura? Ich muss mich um die Gäste kümmern.“
    Ohne eine Antwort abzuwarten, hastete Victoria davon. Bestimmt ist er nur gekommen, um dem Toten das letzte Geleit zu geben, und wird so schnell wie möglich wieder abreisen wollen, sagte sie sich, während sie immer wieder aufgehalten wurde, weil man ihr das Beileid aussprechen wollte. Die Furcht, David könne schon gegangen sein, bevor sie ein paar Worte mit ihm gewechselt hatte, trieb sie in die ungeheizte Halle hinaus.
    Erschrocken hielt sie inne. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Da stand er und unterhielt sich mit Reverend Woodbridge. Interessiert hörte er zu, das ausdrucksvolle schmale Gesicht höflich dem Geistlichen zugewandt, der neben dem gut gekleideten Mann, der ihn um Haupteslänge überragte, wie eine hässliche Krähe wirkte. Die beiden Männer bemerkten sie fast gleichzeitig, und während Victoria näher trat, dankte sie im Stillen dem aufmerksamen Pfarrer, der sich um den fremden Gast gekümmert hatte.
    „Mr. Hardinge!“ hieß sie ihn freundlich willkommen. Sein höflicher Händedruck war so flüchtig, dass sie schnell ihre Hand zurückzog und sie zwischen den Falten ihres schwarzen Rockes verbarg. „Ich danke Ihnen, dass Sie bei diesem Wetter gekommen sind, um Daniel die letzte Ehre zu erweisen“, fuhr sie dennoch herzlich fort. „Bitte, kommen Sie mit ins Warme.“ Vielleicht hat er meine Einladung, mit in den Salon zu kommen, missverstanden, überlegte sie, als David sie nur stumm anstarrte. „Darf ich Ihnen einen Glühwein anbieten? Oder wollen Sie sich am Büfett bedienen?“ wiederholte sie ihre Einladung.
    „Das hört sich gut an, Victoria“, sagte der Pfarrer begeistert und ging zielstrebig in Richtung Salon.
    Unsicher blickte Victoria zu Boden. Sie zwang sich zu einem Lächeln. Fast raubte es ihr den Atem, als sie aufblickte. Er hatte sich verändert. Seine Gesichtszüge waren reifer geworden. Die Farbe seiner blauen
    Augen erschien ihr intensiver, der Mund härter - fast ein wenig böse. „Kommen Sie“, wiederholte sie verlegen. „Ich hätte ein schlechtes Gewissen, wenn ich Sie, ohne Ihnen etwas Warmes angeboten zu haben, wieder in die Kälte schicken würde.“
    „Gut, Mrs. Hart, dann nehme ich eine kleine Erfrischung“, antwortete David Hardinge höflich.
    Victoria strahlte ihn erleichtert und so unbefangen wie in längst vergangenen Tagen an. Einen Moment lang war er ihrem Zauber erlegen. Vorsichtig lüftete er ihren Schleier, schaute ihr prüfend ins Gesicht. Verwundert sah Victoria, wie seine Kinnmuskeln hervortraten - kein Zeichen, kein Wort des Wiedererkennens. Langsam verlor sie ihre anfängliche Zuversicht, und ganz allmählich schwand auch ihr Lächeln.
    Schließlich wurde das Schweigen unerträglich. „Oh, entschuldigen Sie“, begann sie verwirrt. „Sie sind ja jetzt Lord Courtenay. Dumm von mir, ich hätte daran denken sollen. Ich war mit Daniel ja auf der Beerdigung Ihres Bruders. Es muss fünf Jahre her sein ... ich habe
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