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Herz aus Glas (German Edition)

Herz aus Glas (German Edition)

Titel: Herz aus Glas (German Edition)
Autoren: Kathrin Lange
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inzwischen wieder die Arme vor der Brust verschränkt. Er wirkte abweisend und furchtbar zerbrechlich. Vielleicht fühlte er sich genauso aus Glas wie ich.
    Ich spürte eine winzige Nadel, die mich genau an der Stelle pikste, an der mein Ego saß. Obwohl ich zuvor nicht besonders viel Lust gehabt hatte hierherzukommen, hatte der Anblick von Davids Augen dies schlagartig geändert. Mit einem einzigen Blick war ich neugierig auf diesen Typen geworden und es tat verblüffenderweise weh zu hören, dass es ihm mit mir nicht im Geringsten so ging.
    Ich schluckte. S ei nicht albern, Juliane!, schimpfte ich im Stillen mit mir selbst. Er hat vor ein paar Wochen das Mädchen verloren, das er heiraten wollte. Wie kommst du auf die Idee, dass er auch nur einen Funken von Interesse an dir haben könnte? Ich kam mir wirklich vor wie der komplette Volltrottel! Wieder sah ich diesen arroganten Siebzehnjährigen vor mir, als den ich ihn vor zwei Jahren kennengelernt hatte. Viel verändert hatte er sich offenbar nicht.
    Ich atmete auf, als draußen auf dem Gang die Stimmen von Mr Bell und meinem Vater zu hören waren.
    Das Kaffeetrinken gehörte zu der Kategorie Veranstaltungen, die niemand braucht . David schwieg eisern, Dad und Mr Bell versuchten, ihn zum Small Talk zu verleiten, und als sie damit scheiterten, redeten sie zu viel und zu laut miteinander, um ihre Unsicherheit zu überspielen. Ich hingegen fühlte mich, als hätte man in einem Theaterstück vergessen, mir eine Rolle zu geben.
    Irgendwann – nachdem er eine Tasse Kaffee halb ausgetrunken und dann wortlos in die Mitte des Tisches geschoben hatte – stand David mit einer schwerfälligen Bewegung auf. »Ich bin müde«, murmelte er. »Hast du etwas dagegen, wenn ich mich zurückziehe, Dad?«
    Er sagte tatsächlich »zurückziehen«. Plötzlich kam mir die gesamte Szene noch unwirklicher vor. Dad sah mich an und machte ein unglückliches Gesicht. Voller Unbehagen rutschte er auf seinem Stuhl hin und her.
    Mr Bell zögerte mit der Antwort, doch dann nickte er. »Geh ruhig!« Er warf mir einen Seitenblick zu. »Sofern Juli dich entschuldigt.«
    »Selbstverständlich!« Ich versuchte, Davids Blick einzufangen, aber er hatte den Kopf gesenkt und seine Haare verschleierten seine Augen.
    »Ich danke dir!« Er wandte sich ab und wollte den Raum verlassen.
    »Hast du deine Tabletten genommen?«, fragte Mr Bell beiläufig.
    Mitten im Schritt erstarrte David. Einen Moment lang stand er völlig regungslos da. Dann ballte er die Fäuste. »Natürlich«, sagte er, ohne sich umzuwenden. Und ging. Leise fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
    Erleichtert seufzte ich auf. Schlagartig war wieder genug Luft zum Atmen da. Mr Bell und Dad schauten mich an.
    »Es tut mir leid«, entschuldigte sich Mr Bell. »Vielleicht war es doch keine so gute Idee, euch herzubitten.«
    Mein Vater legte beide Hände auf das weiße Tischtuch. Seine Finger waren mit Filzstiftfarbe beschmiert. Die unzähligen roten Striche kamen mir vor wie winzige Wunden.
    Ich klammerte mich an der Sitzfläche meines Stuhls fest.
    »Lass ihm einfach ein bisschen Zeit«, schlug mein Vater vor. »Für ihn muss es so wirken, als würde ihm plötzlich ein Babysitter zugeteilt.«
    Mr Bells Unterkiefer war eine harte Linie. »Er benimmt sich ja auch, als hätte er einen nötig.«
    Ich konnte nicht fassen, wie genervt und eisig er klang. »Er hat seine Verlobte verloren«, warf ich ein. Meine Worte kamen weitaus schärfer aus meinem Mund, als ich es beabsichtigt hatte. »Und so wie er aussieht, hat er eine handfeste Depression.«
    Mr Bell nickte knapp. »Ich weiß.« Plötzlich wirkte er bekümmert. »Es fällt mir nur so schwer, das zu akzeptieren. Himmel, er ist ein Mann! Depressionen sind etwas für Frau…« Gerade noch rechtzeitig unterbrach er sich und hatte sogar den Anstand, etwas zu erröten.
    Dad verzog den Mund zu einem halb spöttischen, halb vorwurfsvollen Grinsen. »Immer noch der alte Macho, Jason?«
    Mr Bell zuckte die Achseln. »Ich bin eben in einer Zeit aufgewachsen, in der ein Mann …« Wieder sprach er nicht zu Ende.
    Ich hatte die Nase voll. Ähnlich mühsam wie David kurz zuvor erhob ich mich. »Ich denke, ich habe für heute genug von John-Wayne-Sprüchen«, sagte ich mürrisch.
    Mein Vater riss erschrocken die Augen auf.
    Ich ignorierte ihn. »Darf ich mich ebenfalls zurückziehen, Mr Bell?«, fragte ich. »Ich bin schließlich nur eine Frau. Ich glaube, ich möchte mich jetzt ein bisschen in meinen
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