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Herz aus Glas (German Edition)

Herz aus Glas (German Edition)

Titel: Herz aus Glas (German Edition)
Autoren: Kathrin Lange
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Fingern hin und her. »Was erwartet ihr von mir?«, fragte ich leise.
    »Nur, dass du dich ein bisschen um ihn kümmerst. Bis Neujahr vielleicht.«
    »So lange?« Ich runzelte die Stirn. Bis eben hatte ich gedacht, dass wir von zwei, drei Tagen sprachen, nicht von fast einer Woche. »Ich bin mit Miley und den anderen zu Silvester verabredet.«
    Mein Vater nickte. »Ich weiß. Könntest du das nicht … ich meine …«
    »Die Silvesterparty absagen?« Ich pustete mir die Haare aus der Stirn. »Muss das sein?« Plötzlich erschien mir der Gedanke, nach Vineyard zu fahren, überhaupt nicht mehr verlockend.
    »Für mich?«, fragte mein Vater hoffnungsvoll und schaute mich mit einem flehenden Blick an, der den ganzen Nordpol zum Schmelzen gebracht hätte. »Und für das neue Handy, das du schon so lange haben willst?«
    Damit hatte er mich fast, aber ich beschloss, es ihm nicht so leicht zu machen. »Du hast von einem Haken gesprochen. Was ist das für ein Haken?«
    »Ich …« Dad wirkte jetzt regelrecht hilflos. »Herrgott!«, fluchte er und rang die Hände. Die Matratze geriet in Schwingungen und der uralte Teddy, das einzige meiner Stofftiere, das ich aus Kindheitstagen aufgehoben hatte, stürzte von der Bettkante. Er fiel auf den bunten Teppich und blieb regungslos auf dem Gesicht liegen.
    Dad starrte den Teddy an, sah mir dann in die Augen. »Jason hat es nicht eindeutig gesagt, aber er hat durchblicken lassen, dass David … nun ja, selbstmordgefährdet sein könnte.«
    Nun war es heraus. »Aha.« Mehr fiel mir nicht dazu ein. Nicht sehr intelligent, ich weiß, aber alles, was ich hätte sagen können, wäre nur eine Floskel gewesen. Ich rief mir Davids mürrisches Gesicht ins Gedächtnis. Wie ein depressiver Selbstmordkandidat war er mir bei dem Abendessen vor zwei Jahren nicht vorgekommen. Okay, wie die personifizierte Lebensfreude allerdings auch nicht, eher wie ein schnöseliger, ziemlich melodramatischer Teenager, der sich für den Nabel der Welt hielt. »Was ist, wenn er es tut, solange ich da bin? Bin ich dann schuld?«
    »Du liebe Güte, nein!« Mein Vater hob den Teddy auf und setzte ihn gedankenverloren auf seinen Platz zurück. Dass er gleich wieder umfiel und erneut auf dem Gesicht liegen blieb, bemerkte er nicht einmal. »Du sollst ihm nur ein bisschen Gesellschaft leisten. Wenn ich Jason richtig verstanden habe, bekommt David so was wie professionelle Hilfe.«
    Ich dachte an Martha's Vineyard, an Ferienhäuser, an kleine Geschäfte und Boutiquen, an sommerliche Tage am Strand. Dann sah ich aus dem Fenster. Draußen regnete es und es waren sicher nicht mehr als drei Grad. Vermutlich würde es später am Abend sogar anfangen zu schneien. Typisches Dezemberwetter eben. Ich schloss die Augen und sah mich am Strand stehen, schräg niederprasselnden Eisregen im Rücken, und neben mir einen jungen Mann mit Selbstmordabsichten, während meine Freunde hier in Boston eine ihrer coolen Silvesterpartys steigen ließen. Aber irgendwie faszinierte mich der Gedanke auch ein bisschen. Ich war eigentlich kein Typ, der auf Gothic stand, und trotzdem hatte die Vorstellung, dass ich diesem David vielleicht tatsächlich helfen konnte, etwas Verlockendes. Na ja, und natürlich das Handy, das mein Vater mir versprochen hatte.
    »Weihnachtsferien im Paradies«, seufzte ich, öffnete die Augen wieder und blinzelte zweimal. »Tolle Aussichten!«
    Über Dads Gesicht glitt ein Lächeln. »Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann, Süße! Wir fahren gleich nach den Feiertagen«, rief er. »Jason freut sich schon auf uns!«
    Ich warf den Bleistift zum zweiten Mal auf das Heft. Diesmal hatte er so viel Schwung, dass er über die Kante des Tisches rollte und klappernd auf dem Dielenfußboden liegen blieb. »Du hast ihm längst gesagt, dass wir kommen!« Es war keine Frage. Ich war überzeugt, dass es so war. Wütend funkelte ich Dad an.
    Doch er nickte so unbekümmert und voller Begeisterung, dass ich ihm nicht lange böse sein konnte. Weihnachtsferien auf Martha's Vineyard, dachte ich. Zusammen mit einem Typen, der womöglich lebensmüde war. Wenn das nicht der absolute Traumurlaub werden würde!

E inen Tag nach den Weihnachtsfeiertagen waren wir dann in einem Mietwagen die knapp hundert Kilometer bis hinunter nach Woods Hole gefahren. Unterwegs hatte Dad mir das wenige erzählt, das Jason Bell ihm am Telefon über seinen Sohn und diese Charlie verraten hatte. Genau wie die Bells lebte Charlies Familie das ganze Jahr
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