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Herz aus Glas (German Edition)

Herz aus Glas (German Edition)

Titel: Herz aus Glas (German Edition)
Autoren: Kathrin Lange
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antwortete prompt.
    »Selber hey. Gut angekommen?«
    »Ja. Ziemlich schräg hier.«
    Miley chattete meistens mit mehreren Leuten gleichzeitig. Daher konnte es passieren, dass man erst eine Viertelstunde warten musste, bis sie sich wieder meldete. Diesmal jedoch war sie schon nach ein paar Sekunden wieder da. »Echt? Erzähl!«
    Ich nahm die Finger von der Tastatur und überlegte, was ich schreiben sollte. »Das Haus ist unheimlich«, tippte ich dann, und als Miley nicht sofort antwortete, fügte ich hinzu: »Ein bisschen wie in einem Gruselfilm.«
    »Cool!«, kam es daraufhin prompt zurück. »Und dieser David? Ist er süß?«
    Fand ich ihn süß? Tatsächlich war er ziemlich ätzend zu mir gewesen und ich ärgerte mich über sein Verhalten. Trotzdem hätte ich beinahe Ja geschrieben. »Er ist traurig«, tippte ich stattdessen.
    »Kein Wunder, oder?« Ich hatte Miley von seiner Verlobten und deren plötzlichem Tod erzählt, als ich ihr gesagt hatte, dass ich nicht zu unserer geplanten Silvesterparty kommen konnte. »Hast du schon rausgekriegt, was genau passiert ist?«
    »Ich bin gerade mal eine Stunde hier, Miley!«
    Diesmal brauchte sie fast zehn Minuten, bevor sie sich wieder meldete. Ich verbrachte die Wartezeit damit, aus dem Fenster zu starren und zuzusehen, wie der Wind die Bäume zauste. Eine Möwe flog dicht an meiner Scheibe vorbei. Ich stellte mir vor, wie sie kreischte, denn die Fenster waren zu gut isoliert, um irgendetwas zu hören
    »Stimmt«, schrieb Miley endlich. »Aber halt mich auf dem Laufenden, ja?«
    »Mache ich.« Ich überlegte noch, welches Thema ich als Nächstes anschneiden sollte, als Miley schrieb:
    »Muss gleich weg. Verwandtenbesuch bei Tante!« Sie setzte ein Smiley dahinter, über dessen Kopf eine düstere Wolke schwebte.
    »Du Arme!«, tippte ich. »Bis bald!«
    Ich wartete noch auf einen Abschiedgruß von ihr, aber es kam keiner. Typisch Miley! Immer auf dem Sprung. Eine Weile lang surfte ich ziellos auf Facebook herum, und als ich mitbekam, wie sich ein paar Leute aus meiner Klasse zum Pizzaessen verabredeten, verfluchte ich mich selbst und meine Gutmütigkeit, die mich dazu gebracht hatte hierherzukommen. Ich mailte den anderen, dass ich leider nicht dabei sein konnte, und ging dann offline.
    Mit einem Seufzen zog ich den Thriller von eben wieder aus dem Regal und beschloss, den Rest des Tages mit Lesen zu verbringen.
    Nachdem ich den Thriller zu einem Drittel durchgelesen hatte, nahm ich eine Dusche und schlüpfte in meinen Schlafanzug, der mir in dieser eleganten Umgebung ziemlich billig vorkam. Dann öffnete ich das Fenster einen Spaltbreit, weil ich das Meer hören wollte. Die Gardinen ließ ich offen und eingehüllt in das gleichmäßige Rauschen der Brandung kuschelte ich mich in die seidenweichen Laken.
    Eine Weile lang starrte ich in den wolkenverhangenen Himmel und beobachtete die Schatten dabei, wie sie über Möbel und Wände wanderten.
    Madeleine wird nicht dulden, dass Sie hier glücklich werden!
    Grace' Stimme erklang so klar und deutlich in meiner Erinnerung, dass ich beinahe zusammengezuckt wäre. Wer zum Teufel war Madeleine? Ich hatte keine Ahnung. So sehr ich mir auch den Kopf zerbrach, mir wollte einfach nicht einfallen, ob mein Vater auf der Herfahrt diesen Namen erwähnt hatte.
    Ich murmelte einen genervten Fluch. Mit einem Seufzen schloss ich die Augen. Und sah auf der Stelle Davids blasses, unglückliches Gesicht vor mir.
    Sie sollten Ihren Vater bitten, Sie so schnell wie möglich wieder von dieser Insel wegzubringen!
    Wieder wisperte Grace' Stimme in meinem Hinterkopf. Ich riss die Augen auf.
    Draußen vor dem Fenster schrien die Möwen.
    »Schwachsinn!«, murmelte mein Verstand mit leiser Stimme. Kurz vor Mitternacht hatte ich immer noch keine Sekunde geschlafen. Schließlich gab ich es auf. Ich kletterte aus dem Bett und trat ans Fenster. In dem eisigen Luftzug, der durch den Spalt hereindrang, sah ich zum Haupthaus hinüber. Im Obergeschoss brannte noch Licht, doch genau in diesem Moment wurde es gelöscht. Der Geruch von Salz und Tang erfüllte das Zimmer und ich fröstelte in meinem dünnen Schlafanzug. Trotzdem rührte ich mich nicht. Nur wenige Sterne leuchteten durch eine Wolkendecke, die aussah wie ein zerfetzter Vorhang. Das Rauschen des nahen Atlantiks klang wie der Soundtrack zu einem sehr traurigen Film. Ich mochte das Meer und auch das Fernweh, das mich jedes Mal überkam, wenn ich an einem Strand war und zum Horizont schaute. Jetzt stand
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