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Herz an Herz

Herz an Herz

Titel: Herz an Herz
Autoren: Sofie Cramer , Sven Ulrich
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bekam einen Stiefvater, den ich vom ersten Tag an gehasst habe. Zu dritt sind wir nach München gezogen. Dort bin ich dem Mann in unserer Dreizimmerwohnung, so gut es ging, aus dem Weg gegangen. Es war eine tägliche Qual. Hans hat sich über mich lustig gemacht, hat mich, so oft es ging, gedemütigt. Als Reaktion darauf habe ich mich immer mehr zurückgezogen. Mit 17 bin ich ausgezogen.
    Das Leben mit meinem Stiefvater hat mich unsicher gemacht. Ich vermochte mir und meinen Gefühlen nicht mehr zu vertrauen. Überhaupt waren mir Emotionen suspekt.
    Meine erste richtige Freundin hatte ich mit 18. Seitdem war ich nie wieder wirklich Single. Jede neue Beziehung schien ein Versprechen auf bessere Zeiten zu sein. Aber eine innere Ruhe stellte sich einfach nicht ein. Ich fühlte mich trotz allem ständig alleine, war immer auf der Hut vor anderen und war eigentlich immer nur auf mich selbst gestellt. Ich wollte in dieser Zeit zwar jemanden zum Reden haben, aber wenn sich mir jemand «näherte», habe ich nur Sprüche geklopft. Ich hatte Angst, sonst in Tränen auszubrechen. Und das ging nicht. Ich weiß nicht, warum, aber Tränen durften nicht sein. Eine Sackgasse, wie Du Dir denken kannst.
     
    So habe ich nach und nach alle Freundinnen verloren und immer gedacht, es sei eben nicht die Richtige gewesen. Die Beziehungen wurden immer kürzer, und es fiel mir immer schwerer, für mich alleine zu sein. Ich habe mich jeder Frau an den Hals geworfen, die irgendwie nett zu mir war. Eine fürchterliche Zeit. Der Kontakt zu meiner Mutter brach in dieser Zeit quasi vollkommen ab. Ich war wütend auf sie, weil sie mir meine Jugend gestohlen hatte, aber mit ihr über meine Gefühle reden, konnte ich nicht.
    Ich dachte in jener Zeit, ich sei ein cooler Typ. Dabei war ich nach außen hin nichts weiter als ein Macho. Zwar ohne Goldkette, aber mit entsprechenden Sprüchen. Und vor allem konnte ich nicht alleine sein.
     
    Dann traf ich Judith. Sie schien anders als die anderen Frauen, mit denen ich vorher zusammen gewesen war. Sie war so warmherzig und hilfsbereit und zart. Und ich war der starke Robert, der ihr – so absurd es sich anhören mag – Halt gab. Mit ihr wollte ich eine Familie aufbauen. Eine, die ich selbst nie gehabt hatte. Judith hat mich auch ermuntert, auf meine Mutter zuzugehen. Und als ich erfuhr, dass Mutter an Alzheimer erkrankt war, habe ich Judith noch am gleichen Tag einen Heiratsantrag gemacht. Ich glaube, ich wollte Judith an mich binden, damit ich die Kraft haben würde, mich meiner Vergangenheit zu stellen. Denn ich hatte gleichzeitig Angst, dass meine Mutter alles vergisst, bevor ich mich mit ihr aussprechen konnte. Ich habe Judith nie erzählt, dass dies der Grund für meinen Heiratsantrag war. Ich wollte sie dadurch nicht verlieren. Auch diese Beziehung begann also mit einer Lüge.
    Kommt Dir das irgendwie bekannt vor, Sara?
     
    Als Judith starb, drohten plötzlich alle guten Ansätze in meinem Leben zu versinken. Prompt ging es auch meiner Mutter sehr schnell sehr schlecht, und sie begann, immer mehr zu vergessen. Judiths Tod war das Erste, das aus ihrem Gedächtnis getilgt wurde. Anfänglich habe ich meiner Mutter immer wieder erzählt, dass Judith gestorben sei. Aber am nächsten Tag war diese Erinnerung schon wieder weg. Und so kam es, dass ich meiner Mutter Dinge erzählte, die ich angeblich mit Judith gemacht habe, obwohl sie schon lange tot war. Es war einfach leichter für mich. Und nach einiger Zeit habe ich gemerkt, dass es auch mich getröstet hat. Während ich meiner Mutter also von dem Leben mit meiner wunderbaren Frau erzählte, habe ich mir eine perfekte Ehe ausgedacht. Das war natürlich total krank, aber so habe ich die letzten zwei Jahre gelebt.
     
    Immerhin habe ich in dieser Zeit gelernt, mich nicht sofort wieder jemandem an den Hals zu werfen. Ich bin selbständiger geworden, habe mir wieder selbst mehr vertraut. Und ich habe mir geschworen, dass ich mir die nächste Frau selbst aussuche. Dass ich bis dahin versuche, mit mir selbst klarzukommen. Ich wollte innerlich stark werden. Darüber kann ich jetzt nur lachen, denn in Wahrheit habe ich mein Leben, so wie es war, drei Jahre lang konserviert. Ich habe mir ein Gerüst gebaut, um durch die Tage zu kommen und nicht nachdenken zu müssen. Ich hatte feste Zeiten fürs Waschen, fürs Joggen, für die Besuche bei meiner Mutter, fürs Kino und so weiter. Aber an mir und meinen Emotionen habe ich letztlich keine Minute gearbeitet. Das
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