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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth
Autoren: Zeugin der Toten
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Damit hatte ich
nichts zu tun.«
    »Aber mit Lindner.«
    »Lindner hätte mich verraten, sobald man ihm den Prozess gemacht hätte.
Ich wäre für alle Zeit und für jeden verbrannt gewesen und hätte nie mehr das
Licht der Sonne gesehen. Die Filme, aber keine Gefangenen. Das war die
Anweisung und mein Arbeitsauftrag von den Russen. Stanz wollte es auf die
sanfte Tour. Mit Tricks und Kniffen und Psychologie. Kein Aufsehen. Nichts, was
die kostbaren Transitreisenden aus dem Westen sehen und weitermelden konnten.
Ich wusste nicht, dass du es warst, der die Operation geleitet hat.«
    »Hätte das etwas geändert?«
    »Ja.« Ihre Stimme wurde eine Nuance dunkler. »Ja, das hätte es.«
    Sie sah zu Judith, die gerade versucht hatte, ihre linke Hand unter die
Couch zu schieben. Die Fingerspitzen berührten die Pistole, aber sie konnte
nicht zugreifen.
    »Er wäre heute nicht an Ihrer Seite. Sie wären nie so weit gekommen.«
    »Ohne ihn wäre ich schon längst fertig«, keuchte Judith. »Vor allem mit
Ihnen.«
    »Das glaube ich kaum.« Espinoza lächelte dünn. »Sie sind doch schon in
Malmö beinahe über die Klinge gesprungen. War es wenigstens ein schöner Trip?
Ich dachte, die Dosis würde jeden ins Jenseits befördern, selbst einen Junkie
wie Sie.«
    »Gestreckt. Der Dealer hat Sie übers Ohr gehauen.«
    »Das tut mir leid. Sie hätten doch wenigstens ein schönes Ende haben
sollen. Nicht wie die Alte, die uns erpresst hat. Irene Borg alias Marianne
Kepler. Lange ging es gut. Ich habe ein Konto unter einem Tarnnamen
eingerichtet und durfte die Kollekte in Malmö abliefern. Alle, die irgendwann
mal von westdeutschem Boden aus für die Stasi gearbeitet haben, durften
einzahlen. Aber irgendwann wollten die Leute nicht mehr. Sie hatten keine Angst
mehr. Sie gingen in Pension, sie hatten nichts mehr zu befürchten. Was im
Kalten Krieg ein Schwerverbrechen war, ist doch heute nur noch ein
Kavaliersdelikt.«
    Sie schnaubte verächtlich. »Und da kam die schlaue Tochter auf die Idee,
die Dateien meistbietend auf den Markt zu werfen. In dieser Hinsicht bin ich
etwas eigen. Mein Name geht nur mich etwas an.«
    »Was haben Sie mit meinem Vater gemacht?«
    »Stanz holte eine Nutte aus dem Rügen Hotel, die auch blond war. Oder
wenigstens so tat als ob. Und ein Kind aus dem Heim. Dann schaltete er das Flutlicht
ab. Es war dunkel. Sie wurden an das Fenster der Bahnhofshalle gestellt. Sie
waren die perfekten Dummys. Wir mussten nur noch warten, bis Lindner im Zug
wahnsinnig wurde. Aber als wir ihn hatten, sagte er keinen Ton mehr. Also bekam
die Nutte die Pässe. Sie stieg mit dem Kind in den Kurswagen. Der Agent hätte
sie erkannt und angesprochen. Sie hätte ihn identifiziert. Dann hätten wir sie
gehabt.«
    »Hätte«, wiederholte Judith. Ihre Hand war nur noch wenige Zentimeter von
Dombrowskis Knarre entfernt. »Hätte ist aber nicht.«
    Espinozas Augen wurden schmal. »Ja«, antwortete sie gedehnt. »Wir wussten
nicht, dass sie am Abend vorher den schwedischen Schaffner gefickt hat. Solche
Zufälle soll es geben. Die Schweden haben es mit ihrer Neutralität etwas
übertrieben. Sie waren für jeden, der ihnen um den Bart ging. Er ließ die Nutte
in den Kurswagen nach Bergen. Dort nahm sie ein Taxi, ließ sich direkt an der
Fähre absetzen und segelte unerkannt und unbehelligt nach Schweden, wo
Vonnegut sie in den Melderegistern seiner Kirche verschwinden ließ. Und wir
standen am Bahnsteig. Als wir nach einer halben Stunde endlich eine PKE an Bord
schickten, waren die beiden über alle Berge.«
    »Und mein Vater?«
    »Ich habe ihn erschossen, als Stanz endlich auf die Idee kam, eure Doppelgänger
im Zug zu suchen. Keine Zeugen, kein Risiko. Er wusste, auf was er sich
einließ. Man kann nur Sieger oder Verlierer sein.« Sie hob die Waffe und machte
einen Schritt auf Judith zu. »Wo sind die Filme?«
    »Ich weiß es nicht!«, schrie Judith. »Und wenn Sie uns beide abknallen,
sie sind weg!«
    »Borg hatte sie dabei! Die Polizei hat sie nicht gefunden. Der BND auch
nicht. Aber Sie, die Putzfrau, Sie haben etwas. Sie wissen etwas.«
    »Nein!«
    »Diese Filme sind wertvoll. Man trägt sie bei sich. Man behält sie im
Auge. Man versucht, sie erst in letzter Sekunde verschwinden zu lassen. Wo
haben Sie sie gefunden? Im Müllschacht? Im Keller? Auf dem Dach?«
    Sie drückte ab. Judith warf sich zur Seite, der Schuss verfehlte sie
haarscharf. Espinoza spielte mit ihr Katze und Maus. Beim nächsten Mal würde
sie treffen. Nicht tödlich.
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