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Herrengedeck

Herrengedeck

Titel: Herrengedeck
Autoren: Philip Tamm
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einen halb ausgebluteten Patienten mit epileptischem Schlaganfall-Infarkt-Blutsturz. Andy legt mir die Hände ans Gesicht, zieht mir mit den Daumen die Haut unter
den Augen nach unten und sagt kopfschüttelnd: »Mann, Mann, Mann, bist du fertig, Alter. Und das nur, weil sie dich sitzen hat lassen? Übertreibst du nicht?«
    Ich kann nicht anders, ich muss lachen. »Hast Recht, Andy. Ich muss ja nur mein komplettes Leben umkrempeln. Kein Grund für schlechte Laune!«
    Bernd knufft mich in die Seite und sagt: »Kopf hoch, Stefan! Du wirst schon wieder jemanden kennenlernen. Vielleicht nicht dieses Jahr und nicht nächstes. Aber irgendwann bestimmt.«
    Ich sehe die beiden überrascht an. Gerade dachte ich noch, dass das Schlimmste in meinem Leben die Tatsache ist, dass ich keine Freundin mehr habe. Stimmt aber nicht. Ich habe Freunde wie die beiden. Das ist noch schlimmer …
    Andy, Bernd und ich kennen uns seit Jugendtagen, was bedeutet, dass wir so ziemlich alles miteinander durchgemacht haben, was einem im Leben so zustoßen kann. Auto, kein Auto; Arbeit, keine Arbeit; Geld, kein Geld. Und jetzt eben auch: Freundin und KEINE FREUNDIN.
    Unsere Geschichte schweißt uns einfach zusammen. Darum fällt es auch nicht weiter ins Gewicht, dass wir eigentlich ziemlich unterschiedliche Typen sind. Wenn es so etwas wie ein Männer-Bestimmungsbuch gäbe - so wie es Bücher für Bäume, Schmetterlinge, Blumen oder Heilkräuter gibt -, würde bei Andy Folgendes stehen:

Der Berufs-Single
    Äußere Kennzeichen: Achtzigerjahre-Sakko, Armani-Jeans, Slipper, Sonnenbrille (Tag und Nacht).
    Innere Einstellung: Let’s talk about sex.

    Verhältnis zu Frauen: Jaaaaaa!
    Vorwiegender Aufenthaltsort: In coolen Bars, hinterm Steuer seines Cabrios, im Bett von Frauen, deren Vornamen er nicht kennt.
    Warnhinweis: Ist unreif nicht zu genießen - wird aber leider niemals reif.
     
    Bernds Beschreibung dagegen würde sich wie folgt anhören:

Der Solide
    Äußere Kennzeichen: Poloshirt, Bundfaltenhose, Ehering (Tag und Nacht).
    Innere Einstellung: Von nichts kommt nichts.
    Verhältnis zu Frauen: »Etwas Besseres als meine Frau Ulrike hätte mir nicht passieren können.«
    Vorwiegender Aufenthaltsort: An der Seite seiner Frau.
    Warnhinweis: Bellt nur, beißt aber nicht.
     
    Und bei mir könnte der entsprechende Eintrag so klingen:

Der nette Typ von nebenan
    Äußere Kennzeichen: T-Shirt, Jeans, Turnschuhe, Handy in der Hand (weil seine Ex anrufen könnte, um ihm mitzuteilen, dass sie zu ihm zurückkehrt).
    Innere Einstellung: Lieber heute zufrieden als morgen glücklich.
    Verhältnis zu Frauen: Man hat mit allen die gleichen Probleme, also kann man auch bei einer bleiben.
    Vorwiegender Aufenthaltsort: Auf dem Sofa, auf dem Strandlaken, in einem Loungesessel.

    Warnhinweis: Kann verdammt treu sein - wenn man ihn lässt.
     
    20:34 Uhr: Wir hauen uns ins Wohnzimmer, und ich erzähle erst einmal in Kurzform, was passiert ist: die Sache mit Raimund, Katjas Auszug, meine Fressattacke. Der ganze große Mist halt, in den sich mein Leben schlagartig verwandelt hat. Andy zieht daraufhin eine Literflasche Gorbatschow-Wodka aus einer Plastiktüte, füllt drei Kölschgläser bis zum Rand, stellt eines vor mich hin und sagt: »Trink.«
    »Ich will nix.«
    »Trink. Das ist Medizin.«
    Ich gehorche und stelle augenblicklich fest, dass Andy Recht hat. Das Zeug tut gut. Sehr gut sogar. »Gib mir noch einen«, sage ich und meine Stimme klingt schon ein paar Nuancen fröhlicher.
    »Siehst du. Du musst nur Doktor Andy fragen.«
    Dann zündet er sich eine Lucky an - selbstverständlich für ihn, dass er jetzt, wo Katja weg ist, in der Wohnung rauchen darf - und beginnt damit, die Situation auseinanderzunehmen. »Katja hat dich also sitzen lassen. Ich meine, klar, kann man ihr auch nicht verdenken, oder? Bist halt nicht mehr der Alte, Stefan. Sieh dich an. Als du Katja kennengelernt hast, warst du ein cooler, sportlicher Endzwanziger-Hecht mit beruflichem Ehrgeiz und einer strahlenden Zukunft. Du hattest noch Feuer unterm Arsch. Jetzt bist du eine träge, fernsehsüchtige Couchkartoffel ohne großartige Karrierechancen und mit zwanzig Kilo zuviel auf den Rippen. Ist einfach nichts mehr los mit dir, Alter. Keine Frau würde sich das auf Dauer antun.«

    Ich sehe Bernd an, aber der zuckt nur mit den Schultern. Dann setze ich mich auf, blicke vorwurfsvoll von einem zum anderen und sage empört: »Erstens liebe ich Katja, zweitens war ich schon immer so, und drittens
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