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Herr Palomar

Herr Palomar

Titel: Herr Palomar
Autoren: Italo Calvino
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um Fragen und Antworten (auf den Partner oder sich selbst) oder um Bestätigungen von etwas, das letzten Endes immer dasselbe ist (die eigene Anwesenheit, die Zugehörigkeit zur Gattung, zum Geschlecht oder zum Gebiet)? Vielleicht liegt der Wert dieses einzigen »Wortes« darin, daß es von einem anderen pfeifenden Schnabel wiederholt, daß es in den Pausen, während des Schweigens, nicht vergessen wird.
     Oder der ganze Dialog besteht darin, dem anderen zu sagen: »Ich bin hier«, und die Länge der Pausen ergänzt das Gesagte um den Sinn eines »noch« oder »immer noch«, so daß es nun etwa bedeutet: »Ich bin immer noch hier, ich bin immer noch ich!« – Doch wenn die Bedeutung der Botschaft nun in der Pause läge und nicht im Pfeifen? Wenn es das Schweigen wäre, in dem die Amseln miteinander redeten? (Das Pfeifen wäre dann nur eine Interpunktion, eine Formel wie »Ich übergebe, Ende«.) Ein Schweigen, das scheinbar identisch ist mit einem anderen Schweigen, kann hundert verschiedene Intentionen ausdrücken. Ein Pfeifen übrigens auch, schweigend oder pfeifend miteinander zu reden, ist immer möglich. Das Problem ist, einander zu verstehen.
     Oder keine der beiden Amseln kann die andere verstehen, jede glaubt, in ihr Pfeifen eine für sie ganz fundamentale Bedeutung gelegt zu haben, die aber nur sie erfaßt, während die andere etwas erwidert, das überhaupt nichts mit dem Gesagten zu tun hat. Dann wäre es ein Dialog zwischen Hörgeschädigten, ein Gespräch ohne Sinn und Verstand.
     Aber sind die menschlichen Dialoge etwas anderes? Frau Palomar ist gleichfalls im Garten und gießt gerade die Männertreu. »Da sind sie wieder«, sagt sie – eine pleonastische Äußerung, wenn sie davon ausgeht, daß ihr Mann die Amseln bereits beobachtet; andernfalls, wenn er sie noch nicht gesehen hätte, eine unverständliche; in jedem Falle aber geäußert, um die eigene Priorität in Sachen Amselbeobachtung zu erhärten (denn in der Tat war es Frau Palomar gewesen, die als erste die Amseln entdeckt und ihren Mann auf sie hingewiesen hatte) und um die Unfehlbarkeit des von ihr schon so of registrierten Wiedererscheinens der Vögel zu unterstreichen.
     »Psst!« macht Herr Palomar, scheinbar nur um zu verhindern, daß seine Frau die Amseln durch lautes Reden verscheucht (eine unnötige Ermahnung, denn das Amselpaar ist längst an die Anwesenheit und die Stimmen des Paares Herr und Frau Palomar gewöhnt), in Wirklichkeit aber, um seiner Frau den Vorsprung streitig zu machen, indem er eine viel größere Fürsorglichkeit für die Amseln bezeugt als sie.
     Darauf sagt nun Frau Palomar: »Seit gestern schon wieder ganz trocken«, womit sie die Erde des Beetes meint, das sie gerade gießt – an sich eine überflüssige Mitteilung, doch mit der unterschwelligen Intention, durch das Weiterreden und den Wechsel des Themas eine viel größere und zwanglosere Vertrautheit mit den Amseln zu bezeugen als er. Gleichwohl entnimmt nun Herr Palomar diesen knappen Informationen ein Gesamtbild von Ruhe, für das er seiner Frau dankbar ist – denn wenn sie ihm auf diese Weise bestätigt, daß es im Moment keine größeren Sorgen gibt, kann er sich weiter in seine Arbeit vertiefen (beziehungsweise in seine Pseudo-  oder Hyper-Arbeit). Er läßt ein paar Minuten verstreichen und überlegt sich ebenfalls eine beruhigende Information, um seiner Frau mitzuteilen, daß seine Arbeit (seine Infra-  oder Ultra-Arbeit) wie üblich vorangeht. Zu welchem Zweck er schließlich eine Reihe von Schnaub-  und Knurrlauten ausstößt (»Herrgott! … Nach alldem! … Nochmal von vorn! … Ja, Himmel!«) – Äußerungen, die zusammengenommen auch die Botschaft »Ich bin sehr beschäftigt« enthalten, nur für den Fall, daß der letzte Satz seiner Frau womöglich einen versteckten Vorwurf enthielt, etwas wie: »Du könntest ruhig auch mal dran denken, den Garten zu gießen!«
     Grundgedanke dieser verbalen Austauschprozesse ist die Annahme, daß ein vollendetes Einvernehmen zwischen Eheleuten Verständnis erlaubt, ohne erst alles lang und breit erklären zu müssen. Allerdings wird diese Theorie von den beiden Palomars auf sehr verschiedene Weise in die Praxis umgesetzt: Sie drückt sich in mehr oder minder vollständigen, aber oft allusiven oder sibyllinischen Sätzen aus, um die Assoziationsfähigkeit ihres Mannes auf die Probe zu stellen und die Feinabstimmung zwischen seinen und ihren Gedanken zu testen (was nicht immer funktioniert). Er
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